Teil 2
Konsequenzen
08.03.2012
In den letzten Tagen waren die Angriffe durch die Fremden erheblich zurückgegangen und hatten schließlich ganz aufgehört. Das lag vor allem daran, dass auf dem Mars alle Schiffe der alten 52- und 122-Meter Klasse wieder in Dienst genommen wurden und aufgrund ihrer Unsichtbarkeit beachtliche Erfolge erzielten. Auch der Kenntnisstand über die gegnerische Technik wuchs, nachdem Spezialisten vom Mars und von der Erde mehrere Schiffswracks untersucht hatten. Insgesamt waren den Teams dabei auch 16 Verletzte, die sich noch an Bord der Wracks befanden, in die Hände gefallen. Die Überraschung, ganz gewöhnliche Menschen vor sich zu haben, war groß. Da die Verletzten aber entweder nicht vernehmungsfähig waren oder beharrlich schwiegen, bekam man nicht heraus, woher die Fremden eigentlich kamen. Seltsam war, dass einige von ihnen die Sprache der Ahnen verstanden. Vielleicht konnten Stakks und Stokks das Geheimnis lüften, wenn sie ihre Nachforschungen auf Gii abgeschlossen hatten. Bis dahin würde man sich weiter mit der Technik ihrer Gegner befassen.
Die Rückkehr von Tamro Shak und Creno Tok nach Queenator Raman stellte einen Anlass dar, den Großen Rat zusammentreten zu lassen. Rechnete man nach Verlusten, war die Schlacht in der Milchstraße klar von den Schuldigen gewonnen worden. Die Anhörung durch den Rat sollte klären, wie es dazu kommen konnte. Der Hochedle Shadlo Dan, Vorsitzender des Rates, führte die Anhörung persönlich. Tamro und Creno nahmen in der Mitte der Ratskammer Platz, während die acht Räte in einem Halbrund vor ihnen saßen. „Ich will“, begann Shadlo seine Ausführungen, „von Anfang an klarstellen, dass ich keinen Zweifel an den Fähigkeiten und am Mut unserer Besatzungen und ihrer edlen Führer hege.“ Tamro und Creno atmeten auf. Das hieß, dass der Rat sie nicht für das Desaster verantwortlich machen würde. Shadlo fuhr fort. „Der Zweck der heutigen Zusammenkunft ist, die Schwachpunkte aufzudecken, die zu dieser Niederlage geführt haben. Und dazu können uns am ehesten die Auskunft geben, die direkt in die Kämpfe mit den Schuldigen verwickelt waren. Tamro Shak, berichte uns nun frei und schonungslos, weshalb wir unterlegen waren!“ „Hochedler Shadlo Dan, edle Ratsmitglieder“, begann Tamro und erhob sich, „die Gründe für das Geschehene scheinen mir weitgehend technischer Natur zu sein. Die Schiffe der Schuldigen sind außerordentlich gut bewaffnet. Ihre Waffenreichweite ist größer als unsere und die Wirkung ist ungleich verheerender. Zudem werden die großen Schiffe der Schuldigen von vielen kleineren begleitet, die sehr schnell, wendig und ebenfalls gut bewaffnet sind.“ Der Edle Gedro Zel beugte sich vor. „Berichte uns von den Waffen, Tamro. Wie wirken sie?“ „Die Schuldigen verwenden Sprenggeschosse von gewaltiger Explosionskraft, die meiner Vermutung nach beim Abschuss in den Überraum gelangen und am oder im Ziel wieder in den Normalraum zurückfallen und dort detonieren. Eine Explosion innerhalb unserer Schiffe führt zur völligen Zerstörung. Die kleinen Begleitschiffe verschießen kleinere Kaliber, die bei der Explosion aber immer noch schwere Schäden anrichten.“ Gedro machte sich Notizen und nickte Tamro freundlich zu. Dann wandte er sich an Creno. „Tapferer Creno, du hast hauptsächlich mit den kleinen Schiffen im Gefecht gestanden und hast viele von ihnen vernichtet. Ist es wahr, dass ein einziger Treffer eines Infrarotlasers reicht, um solch ein Schiff zu zerstören?“ Creno erhob sich ebenfalls. „Das ist wahr, aber die Schwierigkeit ist, diese kleinen Biester zu erfassen und einen gezielten Schuss anzubringen. Unsere Ortungsmuster sind zu grob. Sie sind auf große Schiffe wie unsere ausgelegt.“ Gedro nickte wieder freundlich und machte sich Notizen. Die Befragung wurde noch über mehrere Stunden fortgesetzt, bis der Rat sich bei Tamro und Creno bedankte und noch einmal deren Tapferkeit ausdrücklich lobte.
Ca. 30 Kilometer entfernt hatten Stella und Nelson ganz andere Sorgen. Ihre Notrationen waren endgültig verbraucht. Sie waren in den letzten Tagen weiter in die Hügel vorgestoßen, ohne Zeichen von Ansiedlungen zu sehen. Diese Gegend schien völlig verlassen zu sein. Nelson hatte inzwischen herausgefunden, dass sie sich in der Kleinen Magellanschen Wolke befanden. Das machte ihre Situation zwar auch nicht besser, aber war wenigstens etwas. Ansonsten hatten sie keine Ahnung, wie es weitergehen sollte. Sie waren erschöpft, schmutzig, hatten nichts mehr zu essen und zudem noch tausende von Lichtjahren von ihrer Heimat entfernt. Ihre Aussichten hier wieder weg zu kommen gingen gegen Null. Zurück zum Raumhafen konnten sie nicht. Dort würde man sie finden und vermutlich töten. Das war jedenfalls aus dem Angriff, dem auch Stella und Nelson ohne Vorwarnung zum Opfer gefallen waren, zu schließen. Und hier in den Hügeln würden sie verhungern, wenn sie nicht irgendetwas Essbares fanden. Trotzdem beschlossen sie weiter zu gehen. Inzwischen waren sie die neunte Nacht in der Wildnis unterwegs. Seltsam war, dass sie auf dieser offenbar hoch entwickelten Welt niemandem begegneten. Auch Anzeichen einer Kultivierung waren nirgends zu erkennen. Es gab nur diese weite Graslandschaft, die von kleinen Bächen und Wäldern unterbrochen war. Hin und wieder sahen sie Kleintiere und Vögel. Am nächsten Morgen gelang es Nelson einen Fisch aus einem Bach zu fangen. Da sie bisher niemanden angetroffen hatten, machten sie ein Feuer und grillten ihren Fang. Der Geschmack des Fisches war zwar ungewöhnlich aber nicht schlecht. Bekömmlich war der Fisch auch. Damit war wenigstens sichergestellt, dass sie bei einigem Jagdglück nicht verhungern würden. Stella löschte das Feuer, das erheblichen Rauch entwickelte. Sie packten ihre Habseligkeiten und wandten sich zum Gehen. Vor ihnen lag ein größerer Hügel, von dem aus sie sich einen guten Überblick erhofften. Auf halber Höhe wurde der Hang durch einen schmalen Waldstreifen unterbrochen. Als sie den Wald erreicht hatten tauchten plötzlich Gestalten aus dem Unterholz auf. Waffen richteten sich auf sie. Die Männer, die ihnen gegenüberstanden blickten sie feindselig an. Es schienen keine regulären Soldaten zu sein, da sie keine Uniformen trugen. Vielmehr waren sie sehr abenteuerlich gekleidet und erinnerten irgendwie an Trapper aus dem Wilden Westen. Stella hob die Hände in der Hoffnung, dass diese Geste verstanden wurde. Nelson tat es ihr gleich. Einer der Männer sagte etwas, das sie nicht verstanden. Stella antwortete in der Sprache der Ahnen, woraufhin die anderen teils erschrocken ihre Waffen auf sie richteten. "Du sprichst die Sprache der Vorfahren?", sagte der Mann, der sie zuerst angesprochen hatte. "Ja, ich spreche die Sprache der Ahnen. Wer seid ihr?" "Wir stellen hier die Fragen!", wurde sie angeherrscht, "Ihr gehört nicht zu den Queenat. Woher kommt ihr?" Stella sah den Mann an. "Das ist eine lange Geschichte. Und euch die hier mit erhobenen Armen zu erzählen, wäre ziemlich anstrengend." "Also gut, folgt uns. Sind das dort Waffen an euren Gürteln? Gebt sie her!" Stella und Nelson reichten ihre Pistolen herüber. Dann wurden sie in die Mitte genommen und abgeführt. Die Kolonne zog den Hügel hinauf. Auf der anderen Seite kam eine kleine Ansiedlung in Sicht. Die Bauten waren kaum zu erkennen. Gut getarnt duckten sich die kleinen Häuser in das Tal. Sie wurden in eines der größeren Gebäude geführt wo man sie an einen niedrigen Tisch setzte. Einige ihrer Häscher setzten sich ihnen gegenüber. Der scheinbare Anführer sagte schlicht "Ich bin Gelock. Erzähle!" So begann Stella zu erzählen woher sie kamen, berichtete über den Angriff, ihren Flug hierher und ihre Flucht. Ihr Gegenüber hörte aufmerksam zu und dachte eine Weile nach. "Nun, dann seid ihr sicher nicht unsere Feinde. Vielmehr seid ihr in der ungewöhnlichsten Notlage, die mir je zu Ohren gekommen ist. Ihr wollt sicher wissen, wer euch gefangen hat, oder?"
Die Archive von Gii enthielten 30 Millionen Jahre Menschheitsgeschichte. In den gewaltigen Bauten schlummerte mehr Wissen, als sich Menschen je zu träumen gewagt hätten. Vieles davon war so alt, dass es seit ewigen Zeiten in Vergessenheit geraten war. Als Stakks und Stokks vor einigen Wochen mit ihren Nachforschungen über die fremden Schiffe in der Milchstraße begonnen hatten, wurde ihnen schnell bewusst, dass der Erinnerungsfetzen, der in der Besprechung in First Village aufgetaucht war, aus fernster Vergangenheit stammen musste. Hier auf Gii wurde die Erinnerung durch die telepathische Verbindung mit dem gesamten Ahnenvolk sehr viel deutlicher. Stakks und Stokks hatten sich in den letzten Wochen systematisch an die gesuchte Periode heran gearbeitet, bis auf dem Lesegerät das Bild eines 20 Millionen Jahre alten Raumschiffes auftauchte. Die Bauweise glich der gesuchten fast aufs Haar. Die eigentliche Überraschung war aber, dass es sich um ein Schiff ihres eigenen Volkes handelte!
„Wir sind die letzten, die von der alten Republik auf Queenator Raman übrig sind.“, begann Gelock seine Erzählung. „In diesem Sonnensystem gibt es zwei bewohnte Welten. Unsere und Queenxor Raman. Beide Welten bildeten bis vor 20 Jahren die Republik Raman. Etwa 10 Jahre vor dem Zerfall von Raman wurde auf Queenxor ein Relikt entdeckt, das offenbar Millionen von Jahren alt war. Es enthielt Aufzeichnungen über die Herkunft unserer Urväter, die vor langer Zeit aus dem Volk das ihr Ahnen nennt hervorgegangen sind.“
Stakks ließ die Angaben zu dem gefundenen Schiff vor sich ablaufen. Solche Schiffe wurden damals auf Roo gebaut, der zu dieser Zeit mit Taa im Krieg stand. Die damals noch kriegerischen Völker von Taa schlugen Roo vernichtend und zerstörten den halben Planeten. Großteile der Bevölkerung Roos kamen dabei um. Nach dem Fall von Roo fällten die Sieger ein grausames Urteil. Die Überlebenden Bewohner Roos wurden in riesigen Transportraumschiffen zusammen gepfercht und unter Bewachung in die Kleine Magellansche Wolke, die damals „Juwel der Einsamkeit“ genannt wurde, abgeschoben. Die Bedingungen auf den Transporten waren erbärmlich, so dass nur wenige der Verbannten die Reise überlebten. Im Juwel der Einsamkeit überließen die Schlachtschiffe Taas die Verzweifelten ihrem Schicksal.
„Damals waren die Transporter nicht einmal mit Navigationssystemen ausgestattet, so dass die Kommandanten nach den Sternen navigieren mussten. Auf ihrem Flug durch die Galaxie ging den Schiffen nach und nach der Brennstoff aus und viele kamen elend in den dahintreibenden Särgen um. Aber drei Transporter schafften es ein System zu erreichen, in dem es bewohnbare Welten gab, die Sonne Raman. So entstand hier die erste menschliche Zivilisation. Die Priester dieser Kultur schufen damals eine Legende, um den Überlebenswillen der Vertriebenen zu stärken. In der Geschichte heißt es, dass sich das Volk von Roo eines fernen Tages an seinen Mördern rächen würde. Und würde das Volk der Mörder auch nicht mehr existieren, so seien alle, die aus ihm hervorgingen schuldig bis in alle Ewigkeit. Die Legende der Rache geriet jedoch schnell in Vergessenheit, denn die Menschen lebten gut und entwickelten sich rasch. Als die Raumfahrt sich soweit entwickelt hatte, unterhielten die Vorfahren und Raman sogar gute Beziehungen. Über Millionen von Jahren zogen sich die Vorfahren jedoch zurück und der Kontakt brach ab. So hat sich hier ein völlig eigenständiges Menschenvolk entwickelt. Vor 300 Jahren entstand die Republik Raman, in der es sich gut leben ließ. Vor 30 Jahren wurde bei Ausgrabungen auf Queenxor die Legende der Rache gefunden. Ein junger Mann namens Shadlo Dan erkannte die Macht, die sich hinter dieser alten Geschichte verbarg und erklärte sich fortan zum Hüter der Rache. Sein neuer Kult fand auf Queenxor schnell Anhänger. Die Legende enthielt auch Beschreibungen der alten Kampf- und Transportschiffe. Schon bald war Shadlo so stark, dass er die Macht auf Queenxor übernahm und den Rachekult zur zentralen Religion machte. Die Republik zerbrach daran. Die Bewohner Queenators wurden aufgefordert, sich zu unterwerfen, lehnten jedoch ab. Sie wollten ihre Freiheit behalten. Es dauerte noch fünf Jahre, bis Shadlo seine Kampfflotte schickte und Queenator gnadenlos angriff. Er deportierte die Bevölkerung nach Queenxor, aber viele von uns konnten in die Berge fliehen und sich verstecken. Auf Queenator wurde die Stadt Queenx errichtet, die mit riesigen Raumhäfen und Fabriken umgeben wurde. Seitdem ist Queenator für Shadlo und seinen Rat der „Hort der Rache“. Der Planet dient nur noch dazu die Kriegsflotte dieser Wahnsinnigen zu vergrößern. Wir und etwa 30.000 andere sind noch über. Shadlo weiß zwar von unserer Existenz aber er lässt uns in Frieden, weil er glaubt wir seien eh nur noch ein primitives Bauernvolk. In der Tat können wir zurzeit nichts gegen ihn unternehmen. Nur jetzt werden wir etwas tun müssen, wo diese Schwachköpfe tatsächlich ihren Krieg führen. Es ist ein Wahnsinn, Menschen für etwas, dass vor Millionen Jahren geschah zu töten.“ Gelock blickte zu Stella und Nelson hinüber, die still über das Gehörte nachdachten. Gelock stand auf und lächelte zum ersten mal. „Bevor ihr zwei allerdings an unseren Tisch zum Essen kommt, nehmt ihr erstmal ein Bad. Ihr stinkt nämlich grauenhaft!“ Stella blickte an sich herunter. Ihr Raumanzug war dreckig und abgenutzt und erst jetzt fiel ihr auf, wie schmutzig und abgerissen sie sich fühlte. Nelson sah um keinen Deut besser aus.
Stakks und Stokks speicherten ihre Ergebnisse ab und machte sich umgehend auf den Rückweg zum Mars. Dort wurde eilends eine Sitzung einberufen. Jetzt war zumindest klar, wer ihre Gegner waren und woher sie kamen. Die entscheidende Frage kam von Heike „Alles gut und schön! Aber sagt mir, warum zum Teufel, warum greifen die uns an?“ Bob Zubrin stand auf und trat an das elektronische Flipchart am Kopf des Konferenzzimmers. „Das scheint wirklich die zentrale Frage zu sein. Warum? Lasst uns doch mal ein paar Motive zusammentragen.“ Es folgte das, was jeder Manager als Brainstorming kannte. Am Ende ergab sich eine stattliche Sammlung möglicher Gründe. Von Überbevölkerung, Machtstreben, Suche nach Lebensraum bis Irrtum und Versehen war alles vorhanden. Bob sah auf die Liste und schüttelte den Kopf. Dann schrieb er darunter: RACHE!?
Beim Essen diskutierten Gelock und Stella darüber, was sie tun konnten, um die Menschen in der Milchstraße zu warnen. Keiner wagte sich vorzustellen, was passieren würde, wenn Shadlo Dans Schiffe zu Zehntausenden in der Galaxie auftauchten. „Wir müssen diese Geschichte zum Mars übermitteln“, sagte Nelson. „Wenn ich nur wüsste wie?“ Gelock zuckte mit den Schultern. „Wir kapern eine von Shadlos Mühlen und fliegen nach Hause.“, schlug Stella vor. Gelock schüttelte den Kopf. „Zu riskant und keiner hier könnte so ein Ding fliegen.“ Ein Mann namens Krador, der während der ganzen Zeit geschwiegen hatte, schlug plötzlich mit der Hand auf den Tisch. „Das Sternenexperiment! Das ist es!“ Bevor Gelock ein Wort heraus bekam, fing Krador an darüber zu berichten. „Vor etwa 50 Jahren entwickelte eine Gruppe zu der auch mein Großvater zählte eine Sonde, die zum nächsten Stern fliegen sollte. Das Ding flog jedoch nie, weil es enorme Probleme mit dem Hyperantrieb gab. Die Entwicklung wurde gestoppt und erst kurz vor der Invasion wieder aufgenommen. Als Shadlos Truppen den Planeten verwüsteten, wurde die Sonde in Sicherheit gebracht. Letzte Aufzeichnungen besagen, dass die Probleme mit Antrieb gelöst wurden und das die Sonde, bis auf die wissenschaftliche Ausstattung fertig ist.“ Krador strahlte wie eine junge Sonne. „Weißt du vielleicht auch noch, wo die Sonde sich befindet?“ fragte Gelock. „Alles was bekannt ist deutet daraufhin, dass sie in die Höhlen von Quoor gebracht wurde.“ Gelock machte ein betrübtes Gesicht. Nelson sah ihn fragend an. „Die Höhlen von Quoor sind ein ausgedehntes Labyrinth etwa zwei Tagesmärsche nördlich von hier. Sie sind wenig erforscht, weil es dort viele Gefahren gibt. Dort zu suchen wird Monate dauern.“ Stella wandte sich an Krador. „Gibt es bei euch vielleicht noch Archive mit alten Aufzeichnungen?“ „Ja, wir haben im Nachbarort noch einen alten Computer mit den Speicherplatten, die damals gerettet werden konnten. Darauf müssen sich auch noch die Daten meines Großvaters befinden.“ Damit war klar, was der nächste Tag bringen würde.
Auf dem Mars diskutierten derweil die Fachleute über die Technologie der Fremden. Die erbeuteten Feindschiffe erwiesen sich dabei ebenso als Goldgrube, wie die Aufzeichnungen, die Outpost 2 vor ihrer Vernichtung angefertigt hatte. Die Leiterin der Auswertungsgruppe, Juliette Brigout rückte umständlich ihre Brille zurecht. „Ja ähem, also wir haben eine ganze Menge herausgefunden. Wir wissen zum Beispiel, das man anmessen kann, ob ihre Schiffe aus dem Hyperraum kommen oder ob sie in den Hyperraum gehen.“ Jörg sah die junge Frau etwas verständnislos an . „Das wissen wir auch, wenn sie kommen, gibt es für uns meist Ärger, gehen sie hat der Ärger gerade stattgefunden. Was wissen wir noch?“ Juliette rückte wieder ihre Brille zurecht und fuhr fort. „Ähem, wir wissen auch, aus welcher Richtung sie kommen und in welche Richtung sie abgeflogen sind. Das geht alles aus den Anomalien hervor, die die Sonden von Outpost 2 angemessen haben. Wir wissen ferner aus welcher Entfernung sie gekommen sind und in welcher Entfernung sie aus dem Hyperraum austreten, wenn sie verschwinden.“ Josh meldete sich. „Moment, moment Baby, soll das heißen, dass wir errechnen können, wo die Typen nach einer Hyperetappe wieder in den Normalraum zurückkehren?“ „Genau das soll es heißen, ....Baby! Und die Auswertung der letzten Abfluganomalien ergab, dass alle in Richtung Kleine Magellansche Wolke abgeflogen sind. Damit haben Stakks und Stokks die richtigen Ergebnisse gefunden. Unser Problem ist, dass wir nicht wissen, um welches Sternsystem es sich handelt. Die Wolke heißt zwar klein, ist aber halt doch sehr groß.“ Juliette sah ihn über ihre Brille herausfordernd an. „Weiterhin ist uns die Wirkungsweise ihrer Waffen bekannt. Sagt der Begriff FTIR-Analyse irgendjemandem etwas?“ „Fourier-Transform-Infrarot-Analyse.“, sagte Nataliya gedehnt und fühlte sich an die alten Zeiten in ihrem Werkstofflabor in Stadthagen zurück erinnert. „Genau!“, rief Juliette und grinste wie ein Dreijährige, die einen Luftballon bekommen hat, „Wir kennen das Verfahren als Analysemethode für Kunststoffe. Durch Infrarotstrahlung werden die Bindungen in Kohlenwasserstoffen zum Schwingen angeregt. Aus der Art der Schwingung und der zurückgegebenen Energie kann man dann die Einzelelemente analysieren. Nun ähem, unsere neuen Freunde verwenden diese Technik ebenfalls. Nur dummerweise in Form eines Hochenergielasers, der so ziemlich alle Moleküle zum Schwingen anregt. Das geschieht in einem Ausmaß, dass die Bindungen brechen und sich das bestrahlte Material einfach auflöst. Selbst hexagonal aufgebaute Metallgitter sind davor nicht gefeit. Der Nachteil dieser Technik ist die geringe Reichweite von maximal 2000 Kilometer. Dann streut der Strahl bereits so weit, das die ursprünglich abgefeuerte Energie zu weniger als 50% am Ziel ankommt. Zudem scheinen ihre Zielvorrichtungen recht mangelhaft zu sein.“ Juliette blickte die Runde über ihre Brille hinweg an und nahm zufrieden die Wirkung ihres Vortrages zur Kenntnis.
10.03.2012
Kradors Computer ähnelte äußerlich einem großen Blechschrank. In dem matt erleuchteten Kellerraum standen neben dem Schrank noch ein ovaler Monitor und die Speicherplatten, die Krador erwähnt hatte. Die Platten ähnelten alten Wäscheschleudern und waren verflucht schwer. Wollte man eine Platte lesen, musste sie über ein dickes Kabel an den Rechner angeschlossen werden. Krador ging zwischen den Wäscheschleudern herum und studierte die Aufschriften. „Hier hinten! Das ist sie. Wir müssen das Ding nur zum Rechner schaffen.“ Drei Mann waren vonnöten die Trommel dorthin zu bewegen. Krador schloss die Platte an und las das Verzeichnis ein. „Oha, das wird ein Weilchen dauern hier. Aber lasst mich mal machen.“ Gelock nickte und gab den anderen ein Zeichen den Raum zu verlassen. Nach vier Stunden erschien Krador und grinste triumphierend. „Ich weiß, wo die Sonde ist. Sie befindet sich nicht in, sondern auf den Höhlen und zwar als Berggipfel getarnt!“ Gelock nickte anerkennend. „Gut gemacht, mein Freund. Aber worauf warten wir noch? Los Leute, Krador geht voran!“ Die Gruppe aus 12 Leuten nahm ihre vorbereitete Ausrüstung auf und marschierte los. Der Trupp bestieg zwei bereitstehende Fahrzeuge die auf je sechs flexibel gelagerten Rollen über das Gelände rumpelten. Besser als laufen war diese Fortbewegungsart allemal. In der Nacht stoppten sie und schlugen ein Camp auf. Am späten Vormittag des Folgetages erklommen die Fahrer die Hügel von Quoor und stellten die Fahrzeuge in einer großen Höhle auf halber Höhe zu dem Gipfel ab, den Krador genannt hatte. Der Rest der Strecke musste zu Fuß bewältigt werden. Auf dem Gipfel angekommen ging Krador auf eine Stelle zu, die noch etwas erhöht lag. Auch aus nächster Nähe war nicht zu erkennen, dass hier irgendetwas nicht natürlichen Ursprungs sein sollte. Krador begann im Gras des Hanges zu wühlen. Nachdem er eine Weile gesucht hatte, sah er auf seine Notizen und begann an anderer Stelle erneut die Erde ab zutragen. Irgendwann hatte er eine Art Griff freigelegt. „Gelock, hilf mir mal!“, ächzte er nach dem vergeblichen Versuch, die mit dem Griff verbundene Tür zu öffnen. Gemeinsam schafften sie es. In dem völlig natürlich wirkenden Hang klaffte plötzlich eine rechteckige Öffnung. Kralock griff in die Öffnung und tastete an der Seitenwand nach irgendetwas. Ein Rumpeln ertönte, dann sprang ein Verbrennungsmotor an, was sich auch aus der stinkenden Rauchwolke schließen ließ, die durch die Tür drang. Die dunkle Öffnung wurde plötzlich hell, als drinnen die Beleuchtung anging. „Meine Dame, meine Herren, darf ich bitten?“ Krador machte eine einladende Geste und verschwand dann im Inneren des Hügels. Stella fand sich auf einem schmalen Rundgang wieder, der eine tiefe Grube umschloss. In der Grube ruhte die Sonde. Stella schätzte die Höhe der Sonde auf etwa 30 Meter. Der Durchmesser lag bei ca. vier Metern. Schönheitssinn hatten die Erbauer offenbar nicht besessen. Das Ungetüm war annähernd zylinderförmig, wobei die Kontur durch zahlreiche Luken, Ausbuchtungen und Antennen unterbrochen wurde. „Wir müssen nach unten!“, rief Krador, schon im Begriff eine Leiter hinunter zuklettern, „Da ist die Startkontrolle.“ Die Leiter führte gut 20 Meter nach unten. Dort gab es eine kleine Kammer, die durch dicke Scheiben und eine massive Tür vom Rest des Silos abgeschottet wurde. Hier drinnen befanden sich ein Kontrollpult und drei der altertümlichen Computer. Und hier drangen die stinkenden Abgase des Generators nicht herein. Krador startete die Computer und erklärte, das einer den Status der Sonde anzeigte, über den zweiten konnte der Bordcomputer programmiert werden und der dritte wickelte die Startsequenz ab. Krador checkte die Ausrüstung der Sonde. Die Liste erwies sich als relativ kurz, da noch keinerlei wissenschaftliche Ausrüstung an Bord war. Aber ein Funkgerät und eine Speicherplatte waren vorhanden. „Der Hyperantrieb kann Sprünge bis zu 30 Lichtjahren ausführen.“, berichtete er. Stella und Nelson machten enttäuschte Gesichter. Das reichte nicht einmal, um die Kleine Magellansche Wolke zu verlassen. „Der Vorteil der angewandten Technik ist, dass die Sonde beliebig viele Hyperetappen ohne Pause hintereinander durchführen kann.“, erläuterte Krador weiter, „Wo soll das Schätzchen den überhaupt hin fliegen?“ Nelson zeigte ihm die Position auf seinem Palmtop. „Hierhin, das ist eine Welt, die wir Point Nothing nennen und die zwischen der Milchstraße und der Großen Magellanschen Wolke liegt.“ Jetzt machte Krador ein ziemlich dummes Gesicht. „Aber das sind ja, das sind.....“ „Genau mein Guter, das sind locker vom Fleck weg 22000 Lichtjahre.“ Krador schüttelte energisch den Kopf. „Das macht das Navigationssystem nicht mit. Die Sonde sollte ursprünglich nur die 6,4 Lichtjahre zu unserem Nachbarstern fliegen. Das sollte mit einer Abweichung von zwei Lichtminuten zu machen sein. Aber das hier sind über 700 Hyperetappen. Da kann das alte Mädchen sonstwo ankommen.“ Stella rechnete mit ihrem Palmtop. „Linear betrachtet ist eine Abweichung von 114 Lichtstunden zu erwarten. Das hieße, dass unser Funkspruch rund fünf Tage bis Point Nothing bräuchte. Das ist durchaus akzeptabel.“ Krador kratzte sich am Kinn und überlegte kurz. Das Sondenprogramm musste umgeschrieben werden. Und der Funkspruch musste auf die Speicherplatte der Sonde übertragen werden. Dann musste die Platte über den Bordcomputer mit dem Funkgerät verbunden werden, damit die Nachricht nach Beendigung von genau 733 Etappen abgestrahlt wurde. Die Reise würde 18 Tage in Anspruch nehmen. Krador arbeitete die halbe Nacht durch. Am nächsten Morgen fanden seine Begleiter ihn schlafend am Kontrollpult vor. Es dauerte eine Weile, bis er wach wurde. „Wir können starten.“, murmelte er müde vor sich hin und stemmte sich aus dem Stuhl hoch. Aus einer Schublade entnahm er ein nicht zu definierendes Gerät. „So, jetzt alle raus hier. Das Triebwerk wird chemisch gezündet. Wer also nicht als Braten enden möchte, möge sich schleunigst verziehen!“ Die Startcrew verließ den Silo und rannte zurück zu der Höhle in der die Fahrzeuge warteten. Dort angekommen betätigte Krador das Gerät aus der Schublade. Zunächst geschah nichts. Nach einigen Minuten erschien eine Spalte im Gipfel des Hügels, die beständig breiter wurde. Wieder geschah ein paar Minuten lang gar nichts, bis zu dem Augenblick, als eine gigantische Feuersäule aus der Öffnung empor stieg. Stella, die gerade etwas sagen wollte, hielt sich entsetzt die Ohren zu, als der Schall der chemischen Triebwerke die Gruppe erreichte. Langsam schälte sich der plumpe Rumpf der Sonde aus dem Rauch und stieg auf. Stella und Nelson fühlten sich an alte Zeiten auf der Erde erinnert, als noch die Shuttles in Cape Caneveral gestartet waren. Die Sonde befand sich kaum in der Luft, als die Ramaner zu den Fahrzeugen hasteten und eine Menge Zeug herausholten, das schwer an Gartengeräte erinnerte. Gelock warf Nelson eine Art Harke zu. „Los, los, los, Spuren verwischen!“ Die Gruppe hetzte den Hügel hinauf und richtete das Gras wieder auf, wo es nieder getreten war. Andere sammelten die Zeichen ihrer Anwesenheit ein und verstauten sie in Säcken. Im Silo hatte das Raktentriebwerk alle Spuren ihres Hierseins ausgelöscht. In der Nähe der schwarz gebrannten Öffnung war es immer noch sehr heiß. Nach der Aktion am Gipfel wurden am Heck der Wagen Stachelmatten angebracht, um die Fahrzeugspuren zu verwischen. „Es dürfte nicht lange dauern, bis Shadlos Schergen hier sind“, teilte Gelock mit, „den Start müssen sie auf alle Fälle registriert haben. Aber wir tun so, als sei er automatisch passiert. Wir müssen nur schnellstens zur Siedlung zurück!“ Dort angekommen präparierte Krador eine der Speicherplatten, indem er in den Aufzeichnungen eintrug, dass die Erbauer der Sonde eine automatische Startsequenz vorgesehen hatten, um ihr Projekt trotz der Invasion zu Ende zu bringen. Wenn Shadlos Ermittler auftauchen sollten, würde man sich sehr kooperativ zeigen.
26.03.2012
Als erste Konsequenz auf die Erkenntnis wo die Fremden herkamen, wurden die Ahnen gebeten, ihre gigantische Ortungsanlage auf Point Nothing auf die Kleine Magellansche Wolke auszurichten. Auf diese Art und Weise würde sich die Heimatsonne ihrer Feinde eindeutig aufspüren lassen. Ein Spezialistenteam der Ahnen wurde dafür von Taa auf den einsamen Planeten im Leerraum gebracht. Der Fernerkunder Stephen W. Hawking sollte während der Arbeiten auf Point Nothing bleiben.
28.03.2012
Der Zähler in der Sonde schaltete mit jeder Hyperraumetappe eine Stufe aufwärts. 730, 731, 732. Nach 733 traten die Bremstriebwerke am Bug des unförmigen Raumfahrzeugs in Aktion. Nach dem Abbremsen öffnete sich die Spitze der Sonde und gab eine Antenne frei.
31.03.2012
In der Zentrale der Stephen W. Hawking gab es während des Aufenthaltes auf Point Nothing nur wenig zu tun. Anstelle der normalen Besatzung von 12 Raumfahrern hielten sich nur drei Personen dort auf. Der Kommandant hatte einem Großteil der Besatzung dienstfrei gegeben. Mario Banzetti saß am Funkgerät und hörte gerade die Meldungen zweier Raumjäger ab, die sich auf einem Wartungsflug befanden. Plötzlich geschahen zwei Dinge gleichzeitig. Einer der Jägerpiloten meldete per Multisonde, dass sein Langwellendetektor einen Funkspruch empfing. Zur gleichen Zeit sprach ein zweiter Kanal in Banzettis Pult an und empfing eine weitere Meldung. Die kam von der Ortungsstation der Ahnen und verkündete, dass ein unbekanntes Raumfahrzeug 84 Lichtstunden von Point Nothing entfernt aus dem Hyperraum aufgetaucht sei. Banzetti aktivierte die Funkaufzeichnung und gab Alarm. Dann rannte er zu den Steuersystemen und ließ die Triebwerke hochfahren. Zu dieser Zeit füllte sich die Zentrale auch schon mit ihrer Stammbesatzung. Björn Grieger, der Kommandant des Marsschiffes kam auf Banzetti zu gestürmt und fragte was los sei. „Seltsame Sache, Björn. Ein Jäger hat einen Funkspruch auf Langwelle rein bekommen. Im selben Augenblick kam die Meldung von der Ortungsstation, dass hier ein UFO rumschwirrt.“ Björn setzte sich in seinen Sessel. „Und, was sagt er?“, fragte er den Funker. „Wer ich?“ „Nein, der Funkspruch, wer sonst!“ Banzetti lief zu seinem Pult. „Den habe ich mir noch gar nicht angehört. Ging alles so schnell.“ Als er seine Konsole erreichte befand sich die Stephen W. Hawking schon in der Luft. „Das ist ja ein Ding!“, schnaufte der dicke Italiener, „Das ist eine Textnachricht.“ Björn drehte sich in seinem Sessel um. „Und?“ „Halt dich gut fest, sie ist von Stella Carlseng und Nelson Ebrima!“ „Wa wa was? Von den beiden vermissten Jägerpiloten? Das gibt’s doch gar nicht!“ Björn sprang auf und schaute auf Marios Monitor. Die Geschichte, die die beiden dort lasen war einfach unglaublich. „Übertrag das sofort auf eine Multisonde und dann nichts wie ab zum Mars damit.“ Als nächstes rief Björn die Jäger. „Blackflash 3 und Blackflash 4 sofort auf Position 14, 156, 37, Entfernung von Black Mother 84 Lichtstunden gehen. Aber seid vorsichtig. Und bringt mir Aufnahmen von dem Ding das da rumgeistert.“
02.04.03
„Das ist ja der Megahammer!“ Josh sprach laut aus, was alle in der Runde dachte. Jeder, der sich zurzeit in dem Konferenzzimmer in First Village aufhielt las kopfschüttelnd die Geschichte von Stella und Nelson. „Jetzt wissen wir, wo die Burschen herkommen.“, ließ sich Bob Zubrin vernehmen. „Und du hattest recht damit, dass sie uns aus Rache angreifen.“, ergänzte Jaqueline. Jörg stand auf und wanderte einen Augenblick im Zimmer umher. „Wir machen sofort alle Mühlen der 52 Meter Klasse startklar. Damit können wir vor deren Haustür landen und sie merken es nicht. Dann holen wir unsere Leute dort raus und sehen zu, dass wir so viel Schaden wie möglich anrichten. Zudem sollten wir uns diese übrig gebliebenen Republikaner näher ansehen.“ „Klingt riskant, Hitzkopf!“, wandte Heike ein. Jörg ging zu ihr und zeigte auf den kleinen Monitor auf ihrem Platz. „Lies den Absatz dort. Stella und Nelson vermuten, dass dieser Shadlo Dan über mehr als 10.000 Schiffe verfügt. Wenn die alle hier auftauchen, ist es piepegal, ob wir die besseren Waffen haben. Ich mag mir die Katastrophe kaum ausmalen. Also müssen wir handeln und zwar schnell.“ Nataliya stand auf und ging ans Fenster. Von hier aus hatte sie einen sagenhaften Blick über First Village und das umliegende Valles Marineris. „Jörg hat Recht“, verkündete sie entschlossen, ohne den Blick von der Stadt abzuwenden, „wenn wir leben wollen, werden wir darum kämpfen müssen. Und wenn wir schon kämpfen müssen, tragen wir den Krieg doch lieber vor die Haustür unserer Gegner.“ Die Antwort der meisten Anwesenden bestand aus einem stillen Nicken.
12.04.2012
In den vergangenen Tagen hatten die Ramaner ihre Angriffe wieder aufgenommen. Allerdings blieben sie den Hauptwelten des Sternenbundes fern und griffen Schiffe auf abglegenen Routen an. Währenddessen startete vom Mars eine Flotte aus Fossilien. Angeführt von der Mars Discovery stiegen acht Schiffe der ersten Generation in den Marshimmel. Das erste Ziel der kleinen Flotte war die Destiny, die im Marsorbit auf ihre Uromas wartete. Von dort aus führte der Flug zunächst nach Point Nothing, wo sich die Destiny mit der Stephen. W. Hawking traf. Von hier aus ging der Flug weiter in die Kleine Magellansche Wolke. Die Kugelschiffe vom Mars flogen das Raman-System direkt an und gingen hinter einem Gasriesen, der weit von seinem Stern entfernt seine Bahn zog in Deckung. In dem System herrschte reger Schiffsverkehr, so dass man eine Ortung der großen Kugelraumer unbedingt vermeiden musste. Darüber brauchten sich die Besatzungen der alten Mühlen nicht den Kopf zerbrechen. Schließlich war man für Radarortung unsichtbar. Vor dem Start berief Jörg eine letzte Einsatzbesprechung ein. Die Besatzungen bestanden fast ausschließlich aus seinen alten Mitstreitern, größtenteils die Mitglieder der Mars Society, die bereits den Aufbruch zum Mars vorbereitet hatten. Jörg war klar, dass er hier nicht viel zu sagen brauchte. „Ich hätte nicht daran geglaubt, dass wir aus einem derart beschissenen Anlass wieder in unsere alten Mühlen klettern, aber leider ist es so.“, begann er, „Unser Ziel heißt Queenx auf dem vierten Planeten dieses Systems, Queenator Raman. Wie ihr wisst, sind dort zwei unserer Jägerpiloten gestrandet. Ihr habt die Story, wie die beiden dahin gelangt ja gelesen. Auf Queenator Raman ist aber auch die Hauptflotte von diesem Shadlo....“ „Arschgeige Shadlo!“, rief jemand dazwischen. „....okay, von Arschgeige Shadlo stationiert. Das sind nach Schätzungen von Stella Carlseng weit über zehntausend Einheiten. Zudem gibt es dort noch ein paar Leute, die von einer ehemaligen Republik, die von Shadlo zerschlagen wurde, übrig geblieben sind und in Opposition zu unserem Rachefürsten stehen. Denen sind Stella und Nelson glücklicherweise in die Hände gefallen. Wir gehen zuerst in einen Orbit um den Planeten und hoffen mal, dass die Palms der beiden noch funktionieren. Dann nehmen wir Kontakt auf und landen an einer sicheren Stelle. Nach der Landung müssen wir abklopfen, ob diese Republikaner uns helfen werden und welche Möglichkeiten uns dann zur Verfügung stehen. Wir müssen in jedem Fall verhindern, dass die Flotte unserer Gegner in Massen startet und den Sternenbund angreift. Wir haben gesehen, was ein paar von deren Schiffen anrichten können. Was 10.000 davon alles zerstören können liegt jenseits unseres Vorstellungsvermögens, denke ich. Außerdem wissen wir, dass der Rachekult dieser Irren darauf abzielt alle, die irgendwie vom Urvolk von Taa abstammen zu vernichten. Ihr wisst, worum es geht. Also los Leute, treten wir der Arschgeige in den Besagten.“
In Queenx liefen derweil tatsächlich die Vorbereitungen für einen Großangriff. Der Edle Gedro hatte umgehend nach der Ratssitzung ein Team aus Raumfahrt- und Waffentechnikern sowie den Kommandanten Creno, Burlo und Tamro zusammengebracht. Aufgrund der Erfahrungen, die die Frontkommandanten während der Kämpfe mit den Schuldigen gesammelt hatten, entwickelten das Team innerhalb kurzer Zeit kleinere Infrarotlaser für die Abwehr von Raumjägern. Zudem wurde die Fokussierung und damit die Reichweite der Großlaser verbessert. Eine andere Gruppe verfeinerte das Ortungsraster der Bordradars. Zusätzlich wurde veranlasst, dass die Kommandozentralen der Kriegsschiffe Panzerwände erhielten, die einen stärkeren Schutz gegen die Explosivgeschosse der Schuldigen bieten sollten. Die neuen Entwicklungen gingen sofort in die Produktion. Die Planung zielte darauf ab innerhalb von vier Wochen 2000 Schiffe mit der neuen Technik auszustatten. Diese sollten dann die Spitze des geplanten Großangriffes bilden und die gegnerische Flotte ausschalten. Anschließend würde das Gros von Shadlos Einheiten die Heimatwelten der Schuldigen angreifen.
Gegenschlag
16.04.2012
„Eure Sonde müsste längst an ihrem Ziel sein.“, sagte Stella zu Krador. Der rieb sich das Kinn und blickte ungefähr in die Richtung, in der Point Nothing wohl liegen mochte. „Ja, wenn unser Vorhaben geglückt ist. Aber wer weiß, ob die alte Mühle wirklich durchgehalten hat?“ Stella war klar, dass die „alte Mühle“ ihre einzige Hoffnung war jemals wieder nach Hause zu kommen. Wenn es dann noch ein Zuhause gab.
Gelock gesellte sich zu ihnen. Seit drei Tagen war er bemüht, eine Aufstellung der vorhandenen Waffen zu erstellen. Der größte Teil seiner Liste umfasste Relikte aus der alten Republik, also ausschließlich konventionelle Handfeuerwaffen und ein paar Geschütze, die auf dem Prinzip eines Katjusha-Raketenwerfers basierten. Dazu kamen noch drei Kampfjets, die von Staustrahltriebwerken angetrieben wurden. Und dann waren da noch zwei Kurzstreckenraketen und etliche Handwaffen, die einer alten Panzerfaust auf der Erde nicht unähnlich waren. Gelock schüttelte den Kopf. „Damit können wir Shadlo nicht einmal zu einem müden Lächeln bewegen“, kommentierte er seine Aufstellung, „wobei Nelson mir gesagt hat, dass es nicht darauf ankäme, wie viele Waffen man hat, sondern wie man sie einsetzt.“ Stella lächelte ihm zu. „Ich bin überzeugt, dass wir bald Hilfe... Was ist denn das? Nelson soll mich doch nicht mit seinem Palmtop rufen. Das könnte geortet werden!“
Aber die Nachricht stammte nicht von Nelson. Stellas Computer hatte ein gerafftes Signal empfangen. Kurz darauf noch eins. Mit fliegenden Händen gab sie ihren Entschlüsselungscode ein. Auf dem Schirm erschien das Gesicht von Jörg Schabeck. „Ich rufe Stella Carlseng und Nelson Ebrima! Könnt ihr mich empfangen? Euer phantastischer Coup mit der Sonde ist geglückt. Im Augenblick umkreisen wir den Planeten 20.000 Kilometer über euch. Gibt es dort eine sichere Landestelle?“ Stella sprang spontan auf Krador zu und fiel ihm mit derartigem Schwung um den Hals, dass der arme Kerl einfach um fiel. Stella rollte sich lachend über den Boden und brüllte fortwährend „Sie sind da!“ Nelson kam angelaufen und rief „Ich glaub's nicht, wisst ihr was passiert ist? Aah ich sehe ihr wisst es schon. Was machen diese Bekloppten denn so nahe an diesem Planeten? Shadlos Leute werden sie orten und wegpusten.“ Er antwortete auf Jörgs Nachricht und empfahl, sich schleunigst aus dem Orbit zu verziehen. Wahrscheinlich waren Shadlos Abfanggeschwader schon auf dem Weg. Jörgs Gesicht erschien wieder auf dem Monitor. „Keine Sorge, wir sind mit unseren alten Kisten da. Die sind nicht zu orten. Also, wo können wir runter gehen?“ Jetzt schaltete sich Stella dazu. „Landet auf der Position in der in fünf Minuten mein Signal kommt. Bei allen Sternen, ich kann's kaum erwarten euch zu sehen.“ Zehn Minuten später landeten acht schwarze Ungetüme hinter der Siedlung der Republiktreuen. Die Begrüßung fiel entsprechend stürmisch aus, wobei sich die Ramaner im Hintergrund hielten. Jörg ging von Stella, die unaufhörlich auf ihn einredete begleitet auf Gelock zu und sagte, „Es ist gut, dass man überall Freunde findet. Ich bin Jörg Schabeck vom Planeten Mars. Ich grüße dich Gelock.“ Gelock nahm die ausgestreckte Hand. „Euer Erscheinen wendet unser Blatt entscheidend. Auch ich grüße dich. Ihr seid hoch willkommen.“ Jetzt gesellten sich auch die anderen Ramaner dazu und durchmischten sich mit den Ankömmlingen. Für viele Marsianer war die Sprache der Ahnen, ebenso wie für die Ramaner, zwar ungewohnt, aber die Verständigung funktionierte relativ gut. "Ich glaube," sagte Gelock an Jörg gewandt, "wir haben vieles zu besprechen. Aber vorher habe ich eine große Bitte. Ich würde zu gerne eure Schiffe sehen." Jörg legte Gelock den Arm um die Schultern und zeigte auf Nataliya. "Die junge Dame dort wird euch alles zeigen. Schiffe fliegen ist ihr Spezialgebiet. Und ihr könnt sie alles fragen, okay?" Die nächste Stunde verging damit, dass Nataliya Gelock, Krador und ein paar anderen Ramanern die Mars Discovery zeigte. Am Abend saßen die Ankömmlinge mit den Ramanern zusammen und diskutierten darüber, wie man Shadlo an seinen Plänen hindern konnte. Dabei stellte sich heraus, dass Gelocks Leute erstaunlich umfangreiche Kenntnisse über Shadlos Organisation angesammelt hatten. Sie kannte seine Ausrüstung, wussten was in welcher Fabrik produziert wurde und sogar, wann und wo der Rat zusammen trat. Gelock erzählte, dass sich die Republikaner oft nach Queenx begaben, wo sie nicht weiter auffielen. Einige betrieben dort auch kleine Betriebe, die als Zulieferer für die Raumschiffwerften und Waffenfabriken arbeiteten. Zudem gab es auch unter Shadlos Leuten Anhänger der alten Republik. Gegenüber den Republikanern war Shadlo unglaublich nachlässig. Er nahm sie gar nicht wahr. Deshalb waren auch die Sicherheitsvorkehrungen alles andere als wirksam. An diesem Abend wurde der Beschluss gefasst, Gelocks Republikaner mit modernsten Waffen vom Mars und von der Erde auszurüsten. Shadlo sollte sich noch wundern. Die nächsten Tage vergingen damit, die Situation in Queenx zu analysieren. Wo befanden sich Schlüsselindustrien? Wie sah Shadlos Zeitplan aus?
17.04.2012
Jörg stand hinter Josh im Cockpit der Mars Discovery und blickte auf den Haupmonitor. Darauf liefen gerade die Bilder einer Multisonde durch, die Aufnahmen des riesigen Raumhafens von Queenx lieferte. Krador stand neben ihm und sah sich fasziniert an, was die Marsianer technisch zu bieten hatten. Die Kamera der Sonde erfasste ein weiteres Geschwader von Shadlos Kampschiffen. Krador tippte Jörg auf die Schulter und sagte „Schau mal, die Schiffe dort sehen anders aus! Das ist ein Typ, den kenne ich noch nicht.“ Jörg sah genauer hin, ohne dass ihm Unterschiede zu den anderen Schiffen auffielen. „Was meinst du?“, fragte er, „Ich sehe nichts außer deprimierend vielen Schiffen.“ Krador fragte, ob er ein Standbild von den zuletzt gezeigten Schiffen bekommen könnte. Eine Minute später reichte Jaqueline ihm einen Ausdruck, auf dem ein einzelnes Schiff in größtmöglicher Vergrößerung zu sehen war. „Hier!“ Krador zeigte auf den Mittelteil, der in den Gittermast überging, „Da sind zusätzlich Laser angebracht worden. Die sind kleiner und offenbar schnell schwenkbar. Und sie sind mit eigenen Orterantennen ausgerüstet.“ Jörg und Pascal sahen mit ernsten Gesichtern auf das Blatt. „Du hast verdammt scharfe Augen.“, sagte Pascal, „Die kleinen Laser sind zweifellos zur Abwehr unserer Raumjäger gedacht. Auf die waren die Herren Rächer nämlich in den ersten Gefechten nur sehr mangelhaft vorbereitet.“
Weitere Bilder kamen herein und wurden eingehend betrachtet. Es schien, als ob Shadlos Ingenieure unmittelbar auf die Erfahrungen aus den Gefechten in der Milchstraße reagiert hätten. Das machte diese Leute nur noch gefährlicher.
Am nächsten Tag flogen die Galileo und die Kopernikus wieder zurück zu den Kugelraumern. Zum Glück funktionierte die Radarortung der Ramaner tatsächlich nicht und so blieben sie unbehelligt. In einer Woche sollte alle verfügbaren Marsschiffe der 52- und der 122-Meter Klasse auf Queenator landen und Truppen, Waffen und Ausrüstung bringen. Die militärische Führung des Sternenbundes verständigte sich derweil auf eine Doppelstrategie. Die Flotten von Trombur, Talinir, Russlands und Japans organsierten die Verteidigung der Menschenwelten in der Milchstraße. Die kleine Marsflotte vereinigte sich mit Schiffen aus den USA und aus Europa, um Shadlo auf seinen Heimatwelten anzugreifen. Die Angriffsflotte wurde in höchster Eile ausgerüstet und in Marsch gesetzt. Die Menschen wollten auf alle Fälle verhindern, dass die Riesenflotte der Rächer in die Milchstraße startete. Somit standen etwa 1600 Schiffe zur Verteidigung der Milchstraße zur Verfügung und 104 für den Angriff. Eine lächerlich geringe Anzahl, gegenüber Shadlos Verbänden. Der einzige Vorteil der Menschen bestand darin, dass Shadlo nicht wusste, dass er entdeckt war.
Der hochedle Hüter der Rache befasste sich derweil intensiv mit den Angriffsplänen Die letzten Aufklärungsflüge in der Milchstraße gaben ein recht genaues Bild, welche Sternsysteme die Schuldigen besonders verteidigten. Sein Stab zeichnete ein weitgehend positives Bild der Lage. Die Schuldigen mussten mit viel zu wenig Schiffen ein viel zu großes Gebiet verteidigen. Shadlo konnte seine rund 11000 Einheiten so aufteilen, dass alle Welten der Schuldigen zeitgleich angegriffen werden konnten. Der edle Burlo stellte gerade eine neue Waffe vor, die Angriffe auf Planeten wesentlich erleichterte. Die herkömmlichen Kampfschiffe mussten nämlich in einen sehr niedrigen Orbit gehen oder in die Atmosphäre eines Planeten vorstoßen, um Ziele auf der Oberfläche mit den Großlasern sicher treffen zu können. Dieser Umstand brachte es mit sich, dass man für die Dauer des Angriffs der Bodenverteidigung ausgesetzt war. Burlo Tan zeigte gerade die Grafik einer Abstandswaffe, die aus einem hohen Orbit mit einer ausreichenden Zielgenauigkeit abgefeuert werden konnte. Die Waffe bestand aus einer Antriebsstufe, einem atomaren Sprengkopf und einem kleinen Navigationscomputer. Sie war so konzipiert, dass sie nach dem Abwurf in die Atmosphäre eindrang. Während des Sinkfluges wurde die Waffe kontinuierlich beschleunigt, um zu gewährleisten, dass sie vor der Explosion tief in den Boden eindrang. Die Konstrukteure waren davon ausgegangen, dass die Städte der Schuldigen viele unterirdische Einrichtungen, wie Verkehrswege und Versorgungsleitungen aufwiesen. Ramanische Städte taten das auch. Das bedeutete, das eine Stadt im Grunde genommen auf einem Geflecht unterschiedlich großer Hohlräume ruhte und damit ein „weiches“ Ziel darstellte. Die beschleunigte Bombe durchschlug beim Aufprall möglichst viele dieser Hohlräume, um dann in einer Tiefe von 20 – 30 Metern zu detonieren. Bei einer Sprengkraft von 35 Megatonnen bedeutete das, dass sich das Stadtgebiet im Umkreis von 5 Kilometer komplett anhob und dann in den entstehenden Krater rutschte. Den Rest würden Hitze und Strahlung erledigen. Jedes umgerüstete Raumschiff sollte zwei dieser Waffen an Bord haben. Im Idealfall konnten so 4000 Städte der Schuldigen vernichtet werden. Shadlo war hochzufrieden. Seine Kommandeure hatten aus den ersten Begegnungen mit dem Gegner viel gelernt und sofort die richtigen Schlüsse daraus gezogen. Ab morgen würden die ersten Verbände starten und in die Milchstraße vordringen.
23.04.2012
In der Nacht waren 12 Raumschiffe vom Mars auf Queenator gelandet. Sie brachten 200 Soldaten und jede Menge Waffen mit. Darunter waren deutsche Luftkissenpanzer vom Typ Wiesel VI, die mit mehr als 200 km/h fast jedes Gelände durchqueren konnten, tragbare Lenkwaffen aus Frankreich und die modernsten Handfeuerwaffen vom Mars. Insgesamt konnten 500 von Gelocks Leuten damit ausgestattet werden. Zusammen mit den 200 WSA-Soldaten und 100 Marsianern ergab das eine kleine, aber sehr effektive Kampfgruppe. Vor allem, weil ihr Gegner keine Ahnung hatte, dass diese Truppe existierte und ihm praktisch genau im Nacken saß. Am Rande des Raman-Systems, versteckt hinter den äußeren Planeten, bereiteten sich 92 Raumschiffe des Sternenbundes auf den Angriff vor. Die Aktion hatte nur ein Ziel. Möglichst große Teile von Shadlos Raumflotte sollten am Boden zerstört werden. Jedes Schiff, dass in den Weltraum gelangte war eines zuviel. Da den Menschen nicht bekannt war, wann ihre Gegner starten wollten, musste die ganze Sache so schnell wie möglich ablaufen. Zumal schon jetzt kleinere Verbände in rascher Folge starteten und in den Hyperraum gingen.
Jörg setzte das Videofernglas ab und reichte es Oberfeldwebel Schürmann, der neben ihm am Rand des Raumhafens von Queenx im Gras lag. Der deutsche Fallschirmjäger sah hindurch und schüttelte den Kopf. „Die sind dermaßen leichtsinnig!“, bermerkte er, „Zwar stehen an jedem Schiff hier am Rand ein oder zwei Posten, aber die scheinen weder Fahrzeuge, noch schwere Waffen zu haben.“ Jörg nahm das Glas wieder entgegen und erwiderte „Die haben keine Ahnung, dass hier draußen jede Menge Ärger lauert. Die glauben, hier laufen nur ein paar Bauern rum, denen man keine Beachtung schenken muss.“ Neben dem deutschen Oberfeldwebel richtete Gelock seine Railgun auf nach vorn und brummte „Dann wird Bauer Gelock den Herren Rächern gleich fürchterlich einheizen, wenn's Recht ist.“ Jörg blickte auf die Uhr. In 11 Minuten würde hier die Hölle los sein.
Seit zwei Stunden huschten 92 Raumschiffe durch das Planetensystem, sprangen von Asteroid zu Asteroid, schlichen hinter Kometen her und nutzten jeden erdenklichen Ortungsschatten aus. Alle Waffen waren scharf, die Hangartore standen offen und in den Hangars liefen die Triebwerke der Raumjäger an. Aus der Lufthülle des vierten Planeten löste sich gerade ein Verband von 40 Feindschiffen, der auf dem Weg in die Milchstraße war. Der Kommandant des Verbandes gab den Befehl zu beschleunigen und den Eintrittspunkt in den Hyperraum anzusteuern, als die Flotte des Sternenbundes angriff. Die Ramaner wurden total überrumpelt. Nach nicht einmal 10 Minuten trieben 40 ausgebrannte Wracks durch das All oder fielen in die Atmosphäre von Queenator zurück, um dort zu verglühen.
Auf dem Raumhafen von Queenx geschahen ein paar Dinge gleichzeitig: Der soeben gestartete Verband meldete, dass er angegriffen wurde. Am Südostrand des Flugfeldes flogen ohne Vorwarnung mehrere Schiffe in die Luft und die Ortungszentrale meldete eine große Zahl fremder Schiffe, die genau über Queenx in die Atmosphäre eintraten.
Die Flotte des Sternenbundes schleuste 1200 Raumjäger aus, bevor der Kampfverband sich beim Eintritt in die Gashülle Queenators in mehrere Gruppen aufteilte. 800 Raumjäger rasten auf das Flugfeld von Queenx zu. Acht Gruppen zu je 50 Maschinen nahmen Kurs auf kleinere Raumhäfen. Die Kugelraumer teilten sich in drei Gruppen, die Industrieanlagen und Kommandoeinrichtungen zum Ziel hatten.
Am Boden stürmten die Wiesel - Panzer den riesigen Raumhafen, gefolgt von den Fahrzeugen der Ramaner. Über die Hügel kamen im Tiefflug die am Vorabend eingetroffenen Marsschiffe heran und feuerten auf alles, was sich in Reichweite befand. Das Ziel des Boden – Luftangriffs war es den Kommandobunker im Südosten zu besetzen und die Leitzentrale zu zerstören. Das Nervenzentrum von Shadlos Flotte sollte ausgeschaltet werden. Am Boden wurden die Rächer genau so überrascht, wie im Weltraum, es regte sich kaum Widerstand und schon gar kein formierter.
Das Gesicht des Hüters der Rache glich einer wächsernen Maske. Seit ein paar Minuten brach seine Welt immer wieder aufs neue zusammen. Von verschiedenen Stellen des Planeten gingen Meldungen über verheerende Angriffe ein. Es gab keine Hinweise, keine Vorwarnung, nicht den leisesten Verdacht. Aber Shadlo war kein Mann, der in schwierigen Situationen den Kopf in den Sand steckte oder lange zögerte. Am schlimmsten war, dass die Schuldigen bereits hier auf Queenator, direkt vor seiner Haustür standen und das Herzstück seiner Macht attackierten. Der Hüter der Rache trat an den Großbildschirm an der Rückwand des Sitzungssaales. Dort war eine Karte von Queenator zu sehen. Blinkende Kreise zeigten Positionen an, die angegriffen wurden. Shadlo überlegte kurz und sah dann, dass in Richtung Nordwesten keine Kampfhandlungen stattfanden. Dort gab es einen Korridor, durch den er seine Raumschiffe entkommen lassen konnte. Er wandte sich an seinen Stab und gab ein paar knappe Anweisungen. „Es war ein Fehler, die Schuldigen zu unterschätzen. Sie sind gut ausgerüstet und gehen sehr listenreich vor. Nun, ich nehme die Herausforderung an. Gedro Zel, weist alle Besatzungen an sich sofort auf das nächste erreichbare Schiff zu begeben, egal ob es ihres ist oder nicht. Jeder soll versuchen die modifizierten Kampfraumer zu erreichen. Alle startfähigen Schiffe sollen im Tiefflug auf die Queedan-Berge zuhalten und von dort in den Weltraum starten. Dort müssen sie schnellstmöglich in den Hyperraum gehen. Keiner lässt sich auf Kampfhandlungen mit den Schuldigen ein. Treffpunkt ist an Position XB14 im Leerraum. Dort gehen dann schnellstmöglich die richtigen Besatzungen auf ihre Schiffe. Wir gehen an Bord der Shadlo-1 und begeben uns ebenfalls zu XB14. Die Schutzflotte von Queenxor begibt sich auch sofort dorthin. Wir geben die Planeten vorläufig auf. Alle verfügbaren Ordnungskräfte in Queenx begeben sich zum Raumhafen und nehmen den Kampf gegen die eingedrungenen Bodentruppen auf“
Auf Queenator ging derweil eine Fabrik nach der anderen in die Luft. Auf den Raumhäfen waren zu diesem Zeitpunkt rund 3000 Schiffe aus Shadlos Flotte zerstört oder nicht einsatzfähig. Die Bodentruppen hatten sich bis jetzt ohne nennenswerten Widerstand an die Leitzentrale heran gekämpft. Die gegnerischen Soldaten schienen wie paralysiert zu sein. Niemand hätte auch nur im entferntesten damit gerechnet, dass hier ein Angriff erfolgen könnte. Plötzlich kam Bewegung auf. Jörg sah, das trotz des heftigen Beschusses aus der Luft zahlreiche Fahrzeuge auf die unzerstörten Raumschiffe zuhielten. Er bemerkte auch viele Ramaner, die geduckt über das weite Flugfeld zu den Schiffen liefen. Am Nordende des Raumhafens sah er wie sich Schiffe in die Luft erhoben und dort im Tiefstflug sofort hinter dem Horizont verschwanden. Ein britischer Soldat robbte zu ihm herüber, zeigte auf den Kommandobunker und verkündete „Wir sind drin! Wir sprengen jetzt die Leitzentrale und dann machen wir die Biege.“ Die überlebende Besatzung des Bunkers wurde entwaffnet und abgeführt. Jörg rief die Mars Discovery und teilte Nataliya die Lage am Boden mit. Die reagierte sehr erleichtert und gab den Schiffen der 122-Meter Klasse die Anweisung hinter dem Kommandobunker zu landen und die Bodentruppen aufzunehmen. Die 52-Meter Schiffe sorgten dabei für den Schutz aus der Luft. Auch Gelocks Leute gingen, soweit möglich mit an Bord. Die Multisonden im Orbit hatten Shadlos Bodentruppen, die sich auf den Raumhafen zubewegten gemeldet. Der Kommandobunker erzitterte unter einem dumpfen Knall. Dichter Rauch drang aus den Türen und Entlüftungen.
Rabo Won stand auf der Brücke der Rabo-1. Für seine Heldentaten in der Milchstraße war er vom Hochedlen Shadlo selbst zum Edlen ernannt worden und hatte ein eigenes Schiff erhalten. Die Rabo-1 gehörte zu den modifizierten Einheiten. Rabo hatte das Glück, dass seine Besatzung fast vollständig an Bord war. Bei dem Inferno dass draußen tobte grenzte das schon an ein kleines Wunder. Rabos Pilot, der Kömmling Demro richtete die Steuerautomatik gerade auf den Mikrowellenstrahl der von der Leitzentrale kam aus. Das gewährleistete, dass beim Tiefflug bis zu den Queedan Bergen alles glatt lief. Der Leitstrahl kontrollierte Höhe und Geschwindigkeit des Schiffes. Auf dem Flugfeld gingen derweil weitere Schiffe in Flammen auf. Rabo gab eilig den Befehl zum Start. Je früher er hier raus war, desto besser. Die Rabo-1 hob ab und beschleunigte mit Höchstwerten. Keine Sekunde zu früh. An der Stelle, wo das Schiff gerade noch gestanden hatte, stanzten die Granaten eines dieser verdammten Raumjäger gerade ein paar ziemliche Löcher in den Boden. Auf dem Hauptmonitor zischte gerade die Stadt Queenx unter vorbei, nicht mehr als ein verwaschenes Muster aus Häusern und Strassen, dass nach ein paar Sekunden verschwunden war. Demro konzentrierte sich einzig auf den Leitstrahl, der in dieser Flughöhe ein Art Lebensversicherung darstellte.
Und der von einem Augenblick auf den anderen nicht mehr da war!
Die Rabo-1 ruckte vernehmlich und Demros Hände krallten sich plötzlich um die Steuersäule. „Leitstrahl ist weg!“, hörte Rabo ihn keuchen. Für einen Moment dachte er daran, dass der untere Rand der Hauptscheibe seines Schiffes mit knapp dreifacher Schallgeschwindigkeit 50 Meter über dem Boden dahinschoss. „Geschwindigkeit runter! Steigdüsen auf 90°! Wir müssen vom Boden weg.“ Demro reagierte sofort auf die Befehle seines Edlen. Das Schiff bremste hart ab und begann gleichzeitig zu steigen. „Alle Waffen besetzen!“, ordnete Rabo als nächstes an. „Wir gehen direkt in den Raum. Kann sein, dass wir uns den Weg freischießen müssen.“ Die Rabo-1 beschleunigte wieder, diesmal senkrecht nach oben. Völlig unbehelligt erreichte das Schiff den freien Raum und hielt sofort auf den Eintrittspunkt in den Hyperraum zu. Die Rabo-1 kam als erstes an der Position XB14 an. Jetzt hieß es warten, wie viele Kameraden es bis hierher schaffen würden.
Die Ortungsanlage auf Point Nothing zeigte ein Signal, dass Queenator verließ und an einer Position im Leerraum zwischen den Galaxien wieder auftauchte. Nach kurzer Zeit wiederholte sich der Vorgang und ein zweiter Punkt tauchte an gleicher Stelle auf. Innerhalb kürzester Zeit sammelten sich dort draußen mehr als 100 Einheiten an und es wurden beständig mehr. Zwei Multisonden verließen die Ödwelt, eine in Richtung Milchstraße, die andere in Richtung Kleine Magglansche Wolke.
4316 Raumschiffe waren aus dem Raman-System entkommen. Davon 870 modifizierte Einheiten. Eines der letzten Schiffe, das eintraf, war die Shadlo-1. Da die Ramaner keine Beiboote verwendeten, erwies sich der Austausch der Besatzungen als äußerst schwieriges Unterfangen. Die austauschenden Raumschiffe mussten nahe zueinander kommen, damit die Besatzungen in ihren Raumanzügen zwischen den Schiffen hin und her wechseln konnten. Ramanische Raumanzüge waren zwar mit Schub- und Steuerdüsen ausgestattet, aber in der Reichweite sehr beschränkt. So kostete der Austausch vor allem Zeit. Den Ramanern war es jedoch lieber, diese Zeit zu investieren, als mit teilweise unterbemannten Schiffen in den Kampf zu ziehen. Zudem war Shadlo davon überzeugt, dass er die Zeit auch hätte, denn er ahnte ja nichts davon, dass das Auge auf Point Nothing seinen Standort längst an seine Gegner verraten hatte. Er grübelte immer noch intensiv darüber nach, wie die Schuldigen das Raman-System entdeckt haben könnten. Vermutlich waren sie in der Lage den Kurs eines Raumfahrzeuges durch den Hyperraum zu verfolgen. Wenn das so wäre, dann wüssten Sie auch wo die Flotte jetzt war. Er gab den Befehl, dass jedes vollbemannte Schiff eine Außenposition einnehmen sollte und die Orter ununterbrochen in Betrieb waren. Noch einmal würden die Schuldigen ihn nicht überrumpeln.
Zwischen Point Nothing und den Kampfverbänden des Sternenbundes herrschte ein Sondenverkehr, wie auf der London Orbital zur Rush-Hour. Unablässig wurden die neuesten Erkenntnisse über den Aufmarsch der Ramaner durch den Hyperraum gejagt. Man wusste, wo Shadlo steckte und wie viele Einheiten er hatte retten können. Zu Viele! Noch immer waren die Ramaner dem Sternenbund an Großkampfschiffen 2,5 : 1 überlegen. Und dass sie nicht auf den Kopf gefallen waren, hatte sich zwischenzeitlich auch herausgestellt.
Die Flotte des Sternenbundes stand vor einem ganzen Berg von Problemen. Alle möglichen Optionen bargen unkalkulierbare Risiken. Griff man Shadlos Raumflotte jetzt mit allen Kräften an, musste a) die Überraschung ein weiteres Mal gelingen und b) die Ramaner mussten noch an Ort und Stelle sein, wenn die Kampfverbände des Sternenbundes dort eintrafen. Zudem lag die Milchstraße dann völlig schutzlos da. Griff man nicht an, würde Shadlos Riesenflotte irgendwo in der Milchstraße auftauchen und die viel kleineren Verbände des Sternenbundes nacheinander ausradieren. Was dann mit den Heimatplaneten der Menschen geschah, war unschwer zu erraten.
Unternehmen Silent Visitor
12.05.2012
“Wir holen uns Shadlo!“ Um seine Idee zu untermauern, schlug Björn Grieger kräftig mit der Faust auf den Tisch. Unglücklicherweise bestand der Tisch aus verdichetem sowie schlag- und kratzfestem Polyuhrethan, einem unverwüstlichen Werkstoff des 21. Jahrhunderts. Björns Hand bestand aus Haut, Muskeln, Sehnen und Knochen; typischen Werkstoffen des Paläogen. Und weichen obendrein. Es knackte vernehmlich und Björn nahm etwas ein, dass man als Stehende Embryonalhaltung bezeichnen könnte. Er stand verkrümmt vor dem Tisch, die Hand zwischen die Knie gepresst und machte kein besonders vorteilhaftes Gesicht dazu. „Wir holen uns Shadlo! Und seinen Rat.“, stieß er noch einmal gepresst hervor. Die anderen Teilnehmer sahen Björn an, wie man halt jemanden ansieht, der besser nicht frei herum laufen sollte. Björn zog die Hand zwischen den Knien hervor und versuchte die Finger zu bewegen. Tat weh, ging aber. „Also was müssen wir jetzt behandeln?“, fragte Jörg, „deinen Kopf oder deine Hand?“
Björn setzte sich und sprach unbeirrt weiter, „Der hochedle Wirrkopf allein nützt uns natürlich gar nichts. Wir brauchen noch unsere Freunde von Taa und ein paar ihrer Tricks dazu.“ Dann begann er, einen Plan zu erklären, bei dem Rambo und James Bond kopfschüttelnd den Dienst quittiert hätten.
Nach einer ersten Inspektion hatte sich heraus gestellt, dass an 546 Schiffen dringende Reparaturen durchgeführt werden mussten, bevor diese Einheiten in eine Schlacht ziehen konnten. Flugfähig und kampffähig waren doch recht unterschiedliche Zustände. Shadlo gefiel diese Tatsache zwar nicht, andererseits konnte er auf kein Schiff verzichten. Intakte Einheiten wurden einem bestimmten System folgend auf Patroullienflüge geschickt. Solange die Vorbereitungen und Reparaturen liefen, wollte Shadlo vermeiden, dass sich gegnerische Einheiten unbemerkt nähern konnten.
„So einfach, wie du es vorstellst, ist die Sache nicht, Björn Grieger vom Mars.“ Stakks wiegte nachdenklich mit dem Kopf hin und her. „Aber es wäre doch möglich, oder?“, hakte Björn nach. „Darüber wird die Gemeinschaft erst eine Weile nachdenken müssen. Es braucht Zeit, zu erkennen, ob wir die Fähigkeit, die du verlangst besitzen.“ Stakks sah hinaus in den Weltraum. „Kannst du mir sagen, wie lange ihr brauchen werdet?“ Björn war nicht hier, um gleich wieder locker zu lassen. Zu viel hing davon ab, dass sein Plan gelang. Vor allem Leben, viele Leben. „Zeit,“ sinnerte der Vertreter der Ahnen, den Blick das Universum gewandt, „Zeit ist so wichtig für euch, so maßgebend. Für uns ist sie das nicht, wir leben in ihr, aber ihre Bedeutung ist nur gering. Wer kann schon sagen, wie lange ein Gedanke dauert?“ Björn fasste die hochgewachsene Gestalt vor sich an der Schulter und drehte sie zu sich herum. „Stakks, nur der Realität zuliebe: Uns steht eine gigantische Raumflotte, die jeden Moment losschlagen kann gegenüber. Wir haben keine Zeit! Jeder weitere Verlust von Zeit bedeutet den Verlust von Leben. Und wenn Shadlo uns in die Steinzeit zurückgebombt hat, wird er sein Werk krönen wollen. Er wird Taa finden und vernichten. Wenn wir jetzt nicht handeln, sind wir vielleicht schon bald von Lasern gegrillter Biomüll. Verstehst du das?“ Stakks drehte sich wieder zum Fenster und sah hinaus. Beinahe geräuschlos trat Stokks neben ihn. Die Haltung der beiden drückte höchste Konzentration aus. Björn wagte nicht, weiter zu sprechen. Er spürte, das etwas besonderes vorging.
Plötzlich begann sein Kopf zu dröhnen und dann waren sie da:
Gedanken!
Milliarden und Abermilliarden!
Björn hörte, wie sich Millionen von Gehirnen miteinander verbanden, miteinander dachten, stritten und Entscheidungen fällten. Wissen, das seit Äonen gewachsen traf auf Erkenntnisse, die noch nicht einmal einen Tag überdauert hatten. Björn's Schädel drohte unter der Wucht und der Tiefe des Gedachten zu zerplatzen. Er sackte in die Knie, warf die Hände vor das Gesicht, wollte schreien, doch hatte keine Kraft mehr, einen Schrei zu artikulieren.....
......Es war vorüber. So schlagartig die Gemeinschaft in seinem Kopf explodiert war, so plötzlich war sie wieder verschwunden. Björn nahm langsam die Hände vom Gesicht. Sie zitterten. Er versuchte aufzustehen, doch seine Knie waren so weich, dass er zur Seite wegzukippen drohte. Stakks griff nach seinem Arm und hielt ihn.
„Die Gemeinschaft hat entschieden. Erfüllt ihr euren Teil des Plans und wir werden den unseren beitragen. Und jetzt geh, Björn Grieger vom Mars. Und viel Glück!“ Björn wankte auf wackeligen Beinen aus der Kabine. Er fühlte sich körperlich so schwach, dass er kaum zu laufen vermochte. Was sein Geist aber gerade gesehen hatte, überwältigte ihn völlig. Er straffte sich und ging zurück in die Kommandozentrale. Den Anwesenden dort erschien er um Jahre gealtert. Dann brach er zusammen. Mario Banzetti sprang mit einer Behändigkeit aus seinem Sitz, die man ihm bei seiner Körperfülle niemals zugetraut hätte. Er ging neben Björn in die Hocke und kontrollierte Puls und Atmung, sah dann zu den anderen auf und sagte, „Er ist bewusstlos. Auf die Krankenstation mit ihm, schnell.“
Björn Grieger erwachte nach gut 30 Minuten. Sein Kopf dröhnte und das Aufsetzen war eine Qual. Nach einem Glas Wasser und einem Schmerzmittel fühlte er sich rasch besser. Mario Banzetti, der neben der Krankenliege stand, stieß hörbar erleichtert Luft aus. Björn sah ihn an und sah doch durch ihn hindurch „Das ist Wahnsinn, Mario! Ich habe das Denken von Millionen von Gehirnen gesehen. Und weißt du, was der absolute Irrsinn ist? Ich weiss genau, auf welchem Schiff Shadlo sich aufhält. Ich weiss, wie wir reinkommen, wie es darin aussieht und sogar wie man es fliegt!“ Mario war sich nicht ganz sicher, ob Björn wirklich irre war oder nur so tat. Auf alle Fälle redete er völligen Blödsinn. „Er weiss es wirklich!“, sagte eine sanfte Stimme von der Tür her. Stakks und Stokks waren in das Zimmer getreten.
Der Hangar der Destiny schien verlassen. Nur an der Mars Discovery wimmelte es von Leuten. Eine Truppe von 12 Soldaten stand oder hockte um Björn herum, der mit schlafwandlerischer Sicherheit die Gegebenheiten an Bord der Shadlo-1 erklärte. Die Männer, die den Hüter der Rache mitsamt seines Rates aus dem Schiff holen sollten nickten dazu oder stellten Fragen. Die Besprechung dauerte nicht lange. Die Männer waren bis auf Björn allesamt Profis aus dem deutschen KSK und dem britischen SAS. Jörg Schabeck sah auf die Uhr und gab das Zeichen an Bord zu gehen. Nataliya saß im Pilotensitz, Joshua bediente das Kommunikationspult, Heike überwachte das Radar und den Bordcomputer, während sich Pascal um die Waffensysteme kümmerte. 'Alles wie immer.', dachte Jörg, als er in den Kopilotensessel stieg. Und doch war diesmal alles anders, als jemals zuvor. Diesmal brachen die Marsianer zum waghalsigsten Unternehmen auf, dass sie je in Angriff genommen hatten.
Die Destiny nahm Fahrt auf und trat kurze Zeit später in dem Hyperraum ein. Die 750 Meter durchmessende Kugel verschwand einfach aus dem normalen Universum. Die Hyperraumetappe war mit einer nie dagewesenen Genauigkeit berechnet worden. Der Kugelraumer trat nur 3000 Kilometer von Shadlos Flotte entfernt in den Normalraum ein. Vor dem Sprung waren alle Waffen bestückt und darauf programmiert worden, sofort nach einer Zielerfassung zu feuern. Ausgerichtet worden waren die Waffen anhand der letzten Ortungsergebnisse aus Point Nothing, so dass die Ziele quasi schon vor dem Hyperraumflug anvisiert worden waren. Vor dem Sprung war auch das Hangartor für die Mars Discovery geöffnet worden. Nataliya hatte dass kleine Schiff unmittelbar vor Eintritt in den Hyperraum leicht angehoben und mit Minimalschub auf das Hangartor zugleiten lassen.
Die Destiny verließ den Hyperraum. Vor dem Schiff lag die Flotte der Ramaner. Das Marsschiff raste mit 810.000 Kilometern pro Stunde darauf zu. Die auf Automatik geschalteten Hyperguns schossen in schnellster Folge. Ein paar gegnerische Großkampfschiffe vergingen in Feuerblumen von apokalyptischer Schönheit. Bevor die Ramaner zu irgendeiner Reaktion fähig waren, befand sich die Destiny bereits in der Mitte der riesigen Raumschiffansammlung.
Die Mars Discovery glitt weiter mit Minimalschub auf das Hangartor zu. Unmittelbar vor der Öffnung gab Nataliya etwas mehr Schub auf die Triebwerke und schaltete sie dann ganz ab. Das Schiff machte einen Satz nach vorn und befand sich im Weltall. Im freien Fall bewegte sich das schwarze Raumfahrzeug auf eines der merkwürdig geformten Gebilde zu.
Rabo-Won wurde aus dem Schlaf gerissen, als der Alarm durch die Flure der Rabo-1 schrillte. Er sprang auf und griff instinktiv nach seiner Uniform. Innerhalb von Minuten war er angezogen und lief zur Kommandobrücke. Ohne, dass er danach fragen musste, erstattete ihm der diensthabende Kömmling Meldung. „Ein einzelnes Großkampfschiff der Schuldigen ist ganz nahe an der Flotte aus Hyperraum gekommen und hat sofort das Feuer eröffnet. Wir haben bereits 12 Totalverluste.“ Rabo nickte kurz und ging zum Hauptbildschirm. Die Orter der Rabo-1 verfolgten den Eindringling. Rabo las kurz die Daten. Demnach gehörte ihr ungebetener Gast zu den größten Einheiten, die bisher bei den Schuldigen beobachtet wurden. Und er raste mit halsbrecherischer Geschwindigkeit durch die Formation der Ramaner. ‚Würde ich auch tun, wenn ich es mit 4600 Gegnern zu tun hätte.’, dachte Rabo. Die hohe Geschwindigkeit war der einzige Schutz, den die dort drüben hatten. „Abfangkurs berechnen!“, befahl der Kommandant der Rabo-1. „Abfangkurs liegt bereits vor, Edler Rabo-Won“, meldete der Mann am Steuerstand zurück. „Sehr gut! Dann los, jagen wir den Kerl in die Ewigkeit!“
Alle Besatzungsmitglieder der Destiny befanden sich im Zentrum des Kugleraumers. In den Aussenbereichen hielt sich niemand mehr auf. Nur das Arbeitsgeräusch der unablässig feuernden Hyperguns hallte durch die leeren Gänge. Natürlich ließ die Reaktion der Ramaner nicht lange auf sich warten. Die ersten Laserschüsse waren zwar ungezielt, aber es war klar, dass sich mehr und mehr gegnerische Einheiten in Bewegung setzten, um die Destiny abzufangen. Das dahinrasende Marsschiff geriet unter immer heftigeren Beschuss. Innerhalb kürzester Zeit wurden 30 Treffer registriert. Die Hülle wies etliche Löcher auf. Der Innenbereich der Kugel wurde hermetisch abgeriegelt. Es galt nur noch ein paar Sekunden durchzuhalten, dann ging es wieder in den Hyperraum und zurück nach Point Nothing. Eine Hypergun erhielt einen Volltreffer, genau in dem Augenblick, als ein Geschoss nachgeladen wurde. Die Explosion erfolgte eine Millisekunde später.
Der verheerende Treffer kam von der Rabo-1, die als erstes Schiff vor dem Gegner angekommen war. Rabo gab Feuerbefehl für alle Waffen, woraufhin ein Dutzend Infrarotlaser ihre tödlichen Strahlen auf den Weg schickten. Das Kugelschiff der Schuldigen war inzwischen auch optisch sichtbar. Nach etlichen Treffern glühten die Ränder der Einschusslöcher nach und an mehreren Stellen brannte es. Die Rabo-1 hatte gerade wieder den Hauptlaser abgefeuert. Der Schuss traf den Gegner im oberen Polbereich, dort wo sich die Waffen befanden. Rabo sah eine riesige Explosionswolke aus dem Schiff hervorbrechen, die wieder verschwand, bevor sie sich richtig entfaltet hatte. Das angeschossene Raumschiff war im
Hyperraum verschwunden.
„Die sind nicht ohne Grund hier aufgetaucht!“ Shadlo sah die Mitglieder seines Rates eindringlich an. „Das war eine geplante Aktion. Was mir nur nicht klar werden will ist, warum sie das getan haben.“ Gedro-Zel ergriff als erster das Wort, „Ich bin der Auffassung, dass wir es mit einem Aufklärungseinsatz zu tun hatten. Die Schuldigen haben irgendwie wieder herausgefunden, wo wir uns befinden. Also haben sie diesen Risikoeinsatz befohlen, um detaillierte Informationen über uns zu erhalten.“ Doron-Tar schüttelte den Kopf. „Wenn dass ihre Absicht gewesen wäre, hätten sie das mit ihren kleinen Robotsonden getan. Sie opfern doch nicht eines ihrer besten Schiffe, wenn es eine Alternative dazu gibt.“ Shadlo nickte und ging mit nachdenklichem Blick im Sitzungszimmer auf und ab. „Vielleicht war es Zufall?“, vermutete er, „Sie sind zufällig hier aus dem Hyperraum gekommen und hatten plötzlich die ganze ramanische Flotte vor der Nase.“ Gedro stand auf und ging zum Monitor aus dem der Kurs des Eindringlings zu sehen war. „Es war alles, nur kein Zufall! Dieser Kurs muss bereits genau berechnet worden sein, bevor das Schiff in den Hyperraum eingetreten ist. Zu diesem Zeitpunkt wussten die Schuldigen auch schon genau, wie unsere Formation aufgebaut ist.“ Die anderen Ratsmitglieder sahen ihn fragend an. „Das würde ja bedeuten,“ entgegnete Shadlo, „dass sie uns die ganze Zeit über beobachten! Das kann ich mir nicht vorstellen.“ Gedro deutete auf den Bildschirm und tippte auf die Touchscreenoberfläche. Ein Bereich der ramanischen Aufstellung wurde hereingezoomt. Der Kurs ihres Gegner ging mitten hindurch. „Unsere Einheiten stehen im Abstand von 10 Kilometern zueinander. Das bedeutet, dass zwischen ihnen ein gewisses Raumvolumen vorhanden ist. Wenn ich jetzt einen rein zufälligen Kurs durch diese Anordnung ziehe, geschieht folgendes:“ Das Bild wurde wieder weg gezoomt und ein weiterer Kurs begann sich aufzubauen. Die zweite Linie hatte kaum ein Fünftel ihres Weges durch den Flottenverband hinter sich gebracht, als sie auf ein stehendes Raumschiff traf. Wenig später erfolgte eine weitere Kollision. Als die zweite Linie die Flottenformation passiert hatte, waren es 23 Zusammenstöße. „Die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenstoßes beträgt zwischen 300 und 500%, wenn man unsere Aufstellung rein zufällig durchfliegt. Der Besuch der Schuldigen war also nicht nur genauestens geplant, er war auch ein navigatorisches Meisterstück.“, schloss Gedro seine Erläuterungen ab. Die Ratsmitglieder sahen ihn teils entsetzt und teils überrascht an. Shadlo stand vor dem Monitor und sagte, „Dann ist es also wahr. Sie wissen wo wir sind, wie viele wir sind, wie schnell wir reagieren und was weiss ich nicht alles. Nur liefert auch diese Erkenntnis keinen erkennbaren Grund für diese Aktion.“
Außerhalb der Shadlo-1 fiel ein schwarzer Schatten durch die ewige Nacht. Kein Licht, kein Funksignal, nichts was irgendwie registrierbar gewesen wäre ging davon aus. Nataliya manövrierte die Mars Discovery mit den Steuertriebwerken bei geringster Leistung. Ihr Ziel war der riesige Schatten, auf der Rückseite der Hauptscheibe der Shadlo-1. Langsam glitt das kleine Marsschiff auf den Koloss zu. An Bord herrschte angespanntes Schweigen. Es schien, als hätten die Menschen Angst, dass die dort drüben sie hören konnten. Die Schadlo-1 füllte inzwischen den gesamten Himmel aus. Nataliya fuhr die Landebeine aus. Ihr Gesicht war in höchster Konzentration erstarrt. Die Höhenanzeige nahm rapide ab. Nataliya aktivierte die kleinen Bremstriebwerke in den Landebeinen. Die Mars Discovery schien jetzt völlig still zu stehen. Niemand spürte auch den leisesten Ruck, als die Pilotin tonlos sagte, „Silent Visitor kann losgehen. Wir sind da.“
Die Explosion der Hypergun riss ein Loch von mehr als 20 Metern Durchmesser in die Hülle der Destiny. Zum Glück war der Hauptdruck nach außen entwichen, sonst hätte es die Kugel atomisiert. Der Druck warf das Schiff rund einen Kilometer zur Seite und drehte es um 70° herum. Keine gute Geschichte, wenn man gerade die Dimension wechselte.
Die Männer der Einsatzgruppe prüften ein letztes Mal ihre Waffen. Die Bodenluke der Mars Discovery öffnete sich und gab den Blick auf einen 3 Meter langen Kunststofftunnel frei, der über einer quadratischen Klappe endete. Björn ließ sich in den Tunnel gleiten und hantierte mit einem Trennlaser am Verschluss der Luke herum. Nach wenigen Sekunden schwang der Deckel auf. Björn sah vorsichtig hinein und gab das Zeichen, dass der Raum vor ihm frei war. Die Soldaten wechselten von der Mars Discovery auf die Schadlo-1 über. Jörg winkte dem letzten Mann noch einmal kurz zu, bevor auch dieser in dem anderen Schiff verschwand.
Geführt von Björn, dem jede Einzelheit auf dem fremden Raumschiff irgendwie bekannt vorkam, drang die Kampfgruppe weiter in das Innere der Schadlo-1 vor. Ihr Ziel war ein bestimmter Raum im Zentralbereich, in dem der Rat der Ramaner tagte. Jeder der Männer trug eine Waffe, die unterschiedliche Munitionsarten verschießen konnte, je nachdem, ob man einen Gegner töten oder betäuben wollte. Alle Waffen waren auf betäuben eingestellt, da man die Ratsmitglieder unbedingt lebend brauchte. Die Männer gingen schnell und routiniert vor, wobei sie sich gegenseitig absicherten. Es ging zunächst einmal darum, einen Versorgungsschacht zu erreichen, in dem eine Leiter quer durch den ovalen Zentralkörper des Schiffes lief. Der Flur machte vor ihnen einen Knick. Einer der Soldaten ging vorsichtig hinter dem Knick in die Hocke und spähte um die Ecke. Er zog den Kopf ruckartig wieder zurück und streckte drei Finger hoch. Das bedeutete, dass sich dort vorn drei Ramaner befanden. Zwei weitere Soldaten schlichen nach vorn. Die Vorgehensweise war einfach. Der Schütze am Knick schoss auf den Ramaner, der am weitesten links stand, der zweite Mann erledigte den in der Mitte stehenden Gegner, der dritte den rechts. Die Ramaner wurden quasi zeitgleich außer Gefecht gesetzt und gingen betäubt zu Boden. Die Kampfgruppe ging weiter nach vorn schaffte die Betäubten nach hinten. Björn wies auf eine Tür und flüsterte „Vorratslager“ Die Betäubten wurden gefesselt und geknebelt und in den Lagerraum verfrachtet. Vier weitere Ramaner teilten dieses Schicksal, bis die Gruppe den Versorgungsschacht erreicht hatte. Von hier aus gelangten Sie unbehelligt in die Etage in der sich das Ratszimmer befand. Die Öffnung des Schachtes lag in einem Seitengang. Auf dem Hauptflur herrschte reger Betrieb. Damit war ausgeschlossen, dass sie das Sitzungszimmer unbemerkt erreichten.
Shadlo stand noch immer vor dem Monitor und dachte nach. Doron trat neben ihn und sah sich ebenfalls den Kurs der Fremden an. „Die sind ziemlich dicht an der Shadlo-1 vorbei gekommen.“, stellte er fest, „Ein Wunder, dass wir bei dem Feuerwerk nichts abbekommen haben.“ Shadlo sah zur Seite „Du hast recht, Doron-Tar. Die hätten uns mühelos treffen können. Also ist es entweder Zufall, dass sie es nicht getan haben oder wir sollten nicht getroffen werden.“ Doron sah zur Decke des Raumes und sagte „Vielleicht haben die Schuldigen auch etwas hier gelassen. Vielleicht war die ganze Aktion ja bei weitem nicht so halb so wahnsinnig, wie wir annehmen.“
Die Einsatzgruppe machte jetzt kurzen Prozess. Das Sitzungszimmer war keine 10 Meter entfernt am Ende des Flures. Die Männer stürmten aus dem Seitengang und schossen jeden Ramaner im Flur nieder. Björn öffnete die Tür zum und drei Mann stürmten mit vorgehaltenen Waffen in den Raum. Darin standen oder saßen 12 ältere Herren in recht aufwendiger Kleidung, der Rat der Ramaner!
Björn deutete mit seiner Waffe nach draußen und sagte in der Sprache der Ahnen „Vorwärts, sonst verpassen wir den Bus!“
Die Ratmitglieder wurden auf den Flur getrieben . Inzwischen schrillten Alarmsirenen durch das Schiff. Die Soldaten durchsuchten jeden Gefangenen kurz und stießen ihn dann unsanft in den Flur hinein. Von dort wurden sie weiter in den Seitengang getrieben. Am anderen Ende des Ganges öffnete sich eine Tür, aus der mehrere Wachen angelaufen kamen. Ein kurzes Feuergefecht entwickelte sich, dass die überraschten Wachen im Tiefschlaf beendeten. Währendessen trieben die Soldaten ihre Gefangenen durch den Versorgungsschacht nach oben. Zwei Männer kletterten vor und erreichten schnell die obere Etage. Als der erste das Lüftungsgitter löste, geriet er von der Seite her unter Beschuss und wurde an der Hand getroffen. Offensichtlich saß der Schütze genau zwischen ihnen und der Mars Discovery. Der Verletzte ließ seinen Nachfolger voranklettern und sagte mit schmerzverzerrtem Gesicht „Rechts hinter der Abzweigung!“ Der Angesprochene schaltete sein Funkgerät ein und rief Jörg auf der Mars Discovery. An Bord war alles ruhig. Das Marsschiff war also noch nicht entdeckt worden. Jörg sagte zu, dass sie sich um die Posten auf dem Flur kümmern würden. Im Schacht stieß der Soldat mit dem Gewehrlauf das Gitter weg. Sofort wurde von rechts geschossen. Der Mann nahm eine Handgranate von seinem Gürtel und sprach in sein Funkgerät „Jörg, Handgranate!“, nur für den Fall, dass die anderen sich der Biegung bereits näherten. Der Elitesoldat drückte den Zündknopf und zählte 4 Sekunden ab, bevor er die Granate warf. Eine krachende Detonation und beißender Gestank erfüllten den Flur. Ein heller Schmerzensschrei, der in ein langezogenes Wimmern überging war zu vernehmen. Der Mann, der die Granate geworfen hatte, sprang aus dem Schacht und schoss sofort in Richtung der Flurbiegung. Von dort hörte er Jörgs Stimme. „Feuer einstellen, alles klar!“ Jetzt kletterten einer nach dem anderen aus dem Schacht. Die Soldaten mussten die alten Herren teils brutal antreiben. Jetzt war Eile geboten. Am unteren Schachtende war Lärm zu hören. Laserstrahlen zuckten zu ihnen hinauf. Der letzte Soldat wollte sich gerade aus der Öffnung schwingen, als er am Bein getroffen wurde. Seine Kameraden zogen ihn heraus und warfen Handgranaten in den Schacht. Hinter der Biegung verband Heike gerade einer Ramanerin den Bauch. Das war also der Schütze hinter der Ecke gewesen. „Wir müssen sie mitnehmen, hier verblutet sie.“ Jörg und Heike trugen die Verletzte zur Mars Discovery. Nachdem sich alle an Bord befanden und die Bodenluke geschlossen war, startete Nataliya die Triebwerke und flog am Gittermast der Shadlo-1 entlang auf den Antrieb zu. Pascal verpasste der Antriebsgondel einen Schuss aus der Railgun, was das Flaggschiff der Ramaner in einen wertlosen Schrotthaufen verwandelte. Nataliya holte währenddessen aus den Triebwerken heraus, was zumutbar war. Die G-Kräfte nahmen den Insassen die Luft weg. Nataliya wich einem anderen Feindschiff aus und konzentrierte sich darauf eine ganz bestimmte Flugbahn einzuhalten. Von der ramanischen Flotte kam keine Gegenwehr. Zwar tauchte bei der hohen Ortungsdichte innerhalb des Flottenverbandes das kleine Schiff vom Mars auf den Schirmen auf, doch traute sich niemand zu schießen. Ohnmächtig mussten die Besatzungen mit ansehen, wie ihre Führungselite im Hyperraum verschwand.
Der vermeintlich letzte Akt von Silent Visitor bestand darin, die Perry Rhodan an einem vorher festgelegten Aufnahmepunkt zu erreichen und dann schnellstens wegzukommen. Die Ramaner waren mit Sicherheit intensiv auf der Suche nach ihnen. Und mit absoluter Sicherheit waren sie stinksauer. Währenddessen wandte sich Jörg an seine Gäste „So, das sind also die Rächer.“, stellte er mit einem ironischen Lächeln fest. „Betrachten Sie sich als Gefangene und benehmen Sie sich ansonsten einfach gut.“ Dann wandte er sich wieder ab und ließ die dumpf vor sich hinbrütende Rächerschar unbeachtet. Einer der Gefangenen erhob sich, wurde aber von einem Bewacher sofort mit dem Gewehrkolben wieder zum Sitzen überredet. Trotzdem begann er lautstark zu reden „Ihr wisst, dass wir diese Unverschämtheit mit eurer totalen Vernichtung beantworten werden! Meine Kommandanten haben bereits ihre Befehle und werden die Rache vollenden. Eure jämmerliche Existenz wird aus der Geschichte der Galaxien ausradiert!“ Jörg drehte sich um und sah auf den Mann hinab. „Shadlo-Dan, wie ich annehmen darf. Anstatt hier gequirlte Scheisse zu verbreiten sollten sie sich lieber um ihr verletztes Besatzungsmitglied kümmern. Dann tun sie etwas nützliches.“ Shadlo würdigte die verletzte Ramanerin keines Blickes „Das ist nur eine Gemeine. Es ist gleich, ob sie lebt oder stirbt.“ Er hatte die Worte kaum ausgespuckt als ihn eine mächtige Hand von hinten ergriff, hochzerrte und an die Wand drückte. Der Leiter der Einsatzgruppe, ein muskelbepackter KSK – Hauptmann sah Shadlo, der offensichtlich ziemliche Schmerzen hatte geradewegs in die Augen. „Kümmere dich um die Frau hat Jörg gesagt! Sie hat für dich gekämpft du Arschloch und hat mehr Mut bewiesen, als ihr alle zusammen. Und jetzt mach oder ich werde wirklich wütend!“ Shadlo blieb stehen und sah den Offizier herablassend an. „Bist du ein Edler, dass du dir diesen Ton erlaubst?“ Der Hauptmann holte aus und rammte Shadlo die Faust in die Genitalien. Durch den aufwallenden Schmerz hörte der Hüter der Rache noch die Worte „Nein, ich bin kein Edler, ich bin ein Brutaler!“ Dann fiel er in Ohnmacht. Als erster begriff Doron-Tar, dass ihre Häscher auf Arroganz und zur Schau getragene Klassendünkel ziemlich allergisch reagierten. Er hob vorsichtig die Hand und sagte, „Ich bin Mediziner, ich kann der G..., der Frau helfen.“ Jörg drehte sich zu ihm um und sagte „Danke für ihr Angebot. Ich denke, Sie sollten schnell handeln, sonst haben wir eine Tote an Bord.“
In dem treibenden Wrack erwachten die ersten Mitglieder der Besatzung aus ihrer tiefen Ohnmacht. Einige hatten Knochenbrüche, andere das Gefühl eine Abrissbirne hätte sie am Kopf erwischt. Wieder andere erwachten nicht mehr. Markus Landgraf stemmte sich hoch und betastete sich. Soweit schien alles in Ordnung zu sein. Manfred Hettmer kam leicht hinkend auf ihn zu und grinste schief. „Na alter Freund, denen haben wir’s aber von hinten mit der Drahtbürste besorgt.“ Markus schaute in der Zentrale umher. Hier sahen es beinahe noch intakt aus. Nur beißender Rauch erfüllte die Luft. Mehr und mehr Besatzungsmitglieder kamen auf die Beine, halfen den Verletzten, schafften die Toten hinaus und begaben sich anschließend wieder in an ihre Plätze. Allmählich ergab sich ein Bild über die Schäden an der Destiny. 16 Menschen hatten den Irrsinnsflug nicht überlebt, 69 waren zurzeit nicht einsatzfähig. 30% der Aussendecks erwiesen sich als unzugänglich. Von 24 Triebwerken funktionierten noch 4. Damit war klar, dass die Destiny zu keinem Flug durch den Hyperraum mehr fähig war. Die schlimmste Nachricht war jedoch die, dass alle Sternenkonstellationen rund um das Schiff völlig unbekannt waren.
Der edle Burlo hatte nach der Entführung des Rates zusammen mit Tamro und Creno das Kommando über die ramanische Flotte übernommen. Als erste Maßnahme stellte er Suchverbände auf, die das kleine Schiff der Schuldigen finden und die Ratsmitglieder befreien sollten. Ein sinnloses Unterfangen, da ihr Gegner nur dann zu orten war, wenn man ganz dicht an ihn heran kam. Trotzdem musste er es versuchen. Dann gab er Rabo-Won den Befehl mit allen modifizierten Schiffen die Hauptwelt der Schuldigen anzugreifen. Nach dem Angriff des Kugelschiffes standen Rabo noch 863 Großkampfschiffe zur Verfügung. Und der Junge war klug und entscheidungsfreudig.
Die Perry Rhodan stand genau an der vereinbarten Position. Nach der Landung der Mars Discovery in dem riesigen Hangar machte sich der Kugelraumer umgehend auf den Weg nach Taa.
Die Begrüßung war zwar freudig, aber Jörg merkte deutlich, dass etwas die Freude dämpfte. Kristian Pauly kam auf ihn zu und ergriff seine Hand. „Ihr habt es tatsächlich geschafft! Wir hatten mächtige Angst, dass die Sache schief geht.“ Jörg sah in die betrübten Gesichter der Umstehenden und antwortete, „Wenn ich euch so sehe, scheint auch irgendetwas furchtbar schief gegangen zu sein. Die Destiny?“ Kristian nickte, „Sie ist verschwunden!“ Jörg senkte den Kopf. Das also war der Preis. „Das ist aber noch nicht alles“, fuhr der Kommandant der Perry Rhodan fort, „Über 800 Einheiten der Ramaner haben sich aus dem Verband gelöst. Wir glauben, dass sie angreifen.“
Nirgendwo
Ort und Datum unbekannt
Die Toten waren im All bestattet worden und die dringendsten Reparaturen hatten begonnen. Markus Landgraf fand einen Augenblick Ruhe, um über die Situation der 408 Menschen unter seiner Obhut nachzudenken. Das Schiff war ein Wrack. Nicht direkt, aber da es die Fähigkeit durch die fünfte Dimension reisen zu können eingebüßt hatte, war es hier gefangen. Wo immer dieses Hier auch sein mochte. Manfred Hettmer und er hatten beim ersten Versuch einer Positionsbestimmung nichts herausgefunden. Keine bekannte Sternenkonstellation war zu erkennen. Die automatische Positionsbestimmung, seit 2007 längst Bestandteil eines jeden Raumschiffes versagte ebenfalls. Durch die Gefechtsschäden waren Teile der Datenspeicher des Raumschiffes unbrauchbar geworden. Die Destiny befand sich ganz in der Nähe einer weißen Sonne. Wenn sich der dahintreibende Eimer noch auf 500.000 Stundenkilometer bringen ließ, wäre der Stern innerhalb von zwei Wochen zu erreichen. Vielleicht gab es dort Planeten, auf denen man landen konnte. Die Landebeine waren alle intakt. Bei den übrigen Schäden ein ziemliches Wunder. Die Ramaner hatten mehrmals in den offenstehenden Hangar getroffen. Wie sich herausstellte, hatten nur 6 Raumjäger und 2 Shuttles den Beschuss überstanden. Wenigstens waren sie so in der Lage, kleinere Hyperraumetappen mit den verbleibenden Begleitschiffen zurückzulegen.
Markus wurde von einem Rufsignal der Bordsprechanlage aus seinen Gedanken gerissen. Jakzer ur Trat, ein Navigator vom Planeten Talinir erschien auf dem Hauptbildschirm. „Was gibt es?“, fragte Markus müde nach. „Ich glaube, wir haben gerade herausgefunden, wo wir sind.“ antwortete das Gesicht auf dem Monitor, „Claudine wertet gerade die letzten Messungen aus, aber wir sind uns ziemlich sicher.“ Markus schoss aus seinem Sitz hoch. „Bin sofort bei euch! Ach ja, ääh klasse gemacht.“
Die astronomische Abteilung befand sich in einem Aussenbereich der Destiny und war weitgehend intakt. Von dort aus hatten Jakzer ur Trat und Claudine Currivand versucht, die Position des Schiffes über Spektralauswertungen heraus zu bekommen. Die Idee war recht simpel. Jedes leuchtende Himmelsobjekt gibt ein bestimmtes Lichtsprektrum ab. Das Spektraldiagramm verhielt sich dabei beinahe wie ein Fingerabdruck. Ergo musste man nur ein gemitteltes Spektraldiagramm des umliegenden Himmels erstellen und es mit bekannten Spektren, die im Bordcomputer ein jeden Forschungsschiffes gespeichert waren vergleichen. Claudine und Jakzer hatten zu diesem Zweck innerhalb der letzten 24 Stunden 1012 umliegende Himmelsobjekte spektrographisch erfasst. Als Markus bei den beiden eintraf, sah er wie übermüdet beide waren. „Wir haben eine Wahrscheinlichkeit von 89,6%.“ begann Claudine zu erklären. „Dazu muss man sagen, dass unsere Stichprobe lächerlich klein ist, aber kein anderes Spektrum passt ähnlich gut. Wir sind jedenfalls nicht mehr in der Milchstraße.“ Markus schluckte. „Sondern?“, fragte er gedehnt. „Andromeda“ entgegnete Jakzer.
Taa, die Heimatwelt der Ahnen leuchtete auf dem Hauptmonitor der Perry Rhodan. Obwohl die Menschen es längst gewohnt sein sollten, erschraken noch immer viele, wenn das Begrüßungskomitee plötzlich aus dem Nichts in der Zentrale auftauchte. Die unglaublichen Fähigkeiten der Ahnen waren den meisten Menschen auch nach 5 Jahren noch unheimlich. Jörg begrüßte die Ankömmlinge, man tauschte ein paar Höflichkeitsfloskeln und das Neueste vom Tage aus und besprach dann, wann und wo das Marsschiff landen sollte. Eine gute Stunde später stand die Perry Rhodan in einer weiten leeren Graslandschaft. Nur einzelne Buschgruppen unterbrachen das eintönige Grün. Die Ahnen verabschiedeten sich und verschwanden auf genauso unfassbare Weise, wie sie erschienen waren. Jörg ließ die Gefangenen in die Zentrale bringen. „Sie steigen hier aus!“, informierte er die Ramaner knapp. Dann wandte er sich ab. Shadlo und seine Leute wurden abgeführt. Nur die verwundete Soldatin blieb an Bord. Als sich die Ausstiegsluke des Schiffes öffnete und Shadlo die weite, monotone Grasfläche sah, herrschte er den Wachsoldaten neben sich an „Wo sind wir hier? Antworte, Gemeiner!“ Der Soldat sah ihn nicht einmal an, als er sagte „Sie gehen jetzt dort hinunter und dann ca. 500 Schritte vom Schiff weg. Tun sie es nicht, werden sie erblinden, wenn wir starten.“ Shadlo wollte protestieren aber der Kolben der Railgun, der mit mäßiger Wucht seine Nierengegend traf belehrte ihn eines besseren. Zwölf einstmals machtvolle Männer marschierten in die Leere eines Planeten von dem nicht einmal den Namen kannten.
Wobei die endlose Graslandschaft weit weniger leer war, als es für Shadlo auf den ersten Blick aussah.
Derweil brach im Sonnensystem die Hölle los. Rabo-Won hatte seine Einheiten in einem einzigen Mannöver nur etwa 40 Millionen Kilometer vor der Sonne aus dem Hyperraum kommen lassen. Da die Menschen in der Lage waren, das Sprungziel der Ramaner bereits bei deren Eintritt in die fünfte Dimension zu bestimmen, wurden sofort Flotteneinheiten von Trombur und Talinir aus in Marsch gesetzt. Im Sonnensystem selbst standen bereits 600 Großkampfschiffe. Die Flotten prallten auf Höhe der Venusbahn aufeinander und lieferten sich eine erbitterte Auseinandersetzung. Die Menschen mussten lernen, dass ihr Kontrahent ein brillianter Taktiker war. Er teilte seine Flotte in immer wieder neue Gruppen auf, griff an, suchte nach Lücken in der Verteidigung und zog sich wieder zurück, wenn es brenzlig wurde.
Auf der anderen Seite standen nicht weniger geschickte Kämpfer. Die Flotte des Sternenbundes war zwar zahlenmäßig unterlegen, da an der Venusbahn nur 300 Einheiten standen, nutzte jedoch ihre technische Überlegenheit gegenüber den Angreifern so gut es ging aus. 200 Kampfschiffe schützten die Erde und weitere 100 den Mars. Das erwies sich auch als bitter nötig, weil immer wieder feindliche Kleinverbände mit kurz angelegten Hypersprüngen durchbrachen. Was den Ramanern nach wie vor am meisten zu schaffen machte, waren die kleinen Raumjäger der Menschen. Zwar waren Rabos Schiffe durch die verbesserte Ortung und die Zusatzbewaffnung besser darauf eingestellt, als die alten Einheiten, aber bei der Masse in der die enorm effektiven Jäger immer wieder angriffen, mussten mehr und mehr Einheiten beschädigt auf dem Gefecht genommen werden. Rabo erkannte allmählich, was die Schuldigen vorhatten. Sie verwickelten ihn in eine Abnutzungsschlacht. Da seine Gegner direkt bei ihren Heimatwelten kämpften, konnten sie jederzeit beschädigte Schiffe reparieren lassen und hatten Unmengen an Nachschub zur Verfügung. Die Ramaner kämpften ohne Basis. Umso länger diese Schlacht sich also hinzog, umso wahrscheinlicher war es, das Rabo sie verlieren würde.
12 alte Männer irrten seit Stunden ziellos über die weite Ebene, auf der die ausgesetzt worden waren. Bislang waren sie an ein paar Büschen vorbei gekommen und hatten einen kleinen Bach entdeckt. Begegnet war ihnen niemand, mal abgesehen, von ein paar kleinen Nagetieren und ein paar Vögeln. Sie redeten wenig und sahen sich kaum an. Und sie bekamen langsam Durst und Hunger – und Angst.
Rabo sandte ein Kampfschiff zurück an den Hauptverband. Wenn er bei der Schlacht gegen die Schuldigen erfolgreich sein wollte, dann brauchte er Verstärkung. 1000 zusätzliche Schiffe und er würde seine Gegner besiegen können. Das Kurierschiff hielt exakt auf Position XB14 zu, nachdem es nach Hunderttausenden von Lichtjahren in den Normalraum zurückgekehrt war. Aber dort war nichts! Nicht ein einziges Raumschiff der Ramaner befand sich am Treffpunkt. Den Ramanern war ein simpler, aber im Nachhinein katastrophaler Fehler unterlaufen. Im Schock über die Entführung des Rates hatte der Edle Burlo einen Teil der Flotte in die Schlacht geschickt und den verbleibenden in Suchflotten aufgeteilt, die das Raumschiff der Entführer finden und stellen sollten. An eine Hauswache oder an genaue Anweisungen, wie lange die Suche dauern und was anschließend geschehen sollte, hatte er einfach nicht gedacht. So kreuzte eine zerstückelte Streitmacht von 3400 intakten Einheiten Lichtjahre voneinander entfernt und ohne Kontakt untereinander im All. Der Kommandant des Kurierschiffes war sich bewusst, dass er hier nicht lange warten konnte. Rabo-Won musste informiert werden. Also ordnete er den sofortigen Rückflug an.
Als die Perry Rhodan das Sonnensystem erreichte, tobte die Schlacht gegen die Rächer von der Venus bis zur Marsbahn. Der Hauptmonitor zeigte alle verfügbaren Daten zum Verlauf der Kampfhandlungen an. Überall prallten kleinere Kampfverbände aufeinander. Die Ramaner versuchten auf die Erde oder den Mars durchzubrechen, die Flotte des Sternenbundes wollte genau das verhindern.
Für Rabo–Won ergab sich ein neues Problem: Die Schuldigen hatten Verstärkung bekommen, so dass sie jetzt eine zahlenmäßige Überlegenheit für sich verbuchen konnten. Deshalb wartete er händeringend darauf, dass der Kurier mit ausreichenden Verstärkungen hier eintraf. Zurzeit versuchte er nur, die Schuldigen davon abzuhalten, kleinere Kampfgruppen seiner Flotte einzukreisen und aufzureiben. Er hielt seine Streitmacht in ständiger Bewegung und ließ sich nicht fassen. Inzwischen waren seine Verluste jedoch so groß, dass er diesen tödlichen Tanz nicht mehr lange durchstehen konnte. Der Funker stand plötzlich mit einer Meldung neben ihm. Sie stammte von seinem Kurierschiff. Nachdem er den Inhalt gelesen hatte, verließ er möglichst gefasst die Kommandozentrale und ging in seine Kabine. Dort angekommen setzte er sich auf einen Stuhl, legte den Kopf in die Hände und verfluchte diese bornierten, alten Idioten, die in Shadlos Reich die Befehle gaben. Erst schicken sie veraltete Raumschiffe los, um sich mit technisch überlegenen Gegnern anzulegen. Dann gelingt es eben diesen nicht nur die Heimatwelten der Ramaner zu finden, sondern sie noch dazu in kürzester Zeit anzugreifen. Dann lassen sie zu, dass der Rat mitten aus einer Flotte von fast 5000 Raumschiffen entführt wird. Zu guter Letzt verteilen sie alle Reserven ohne Kontakt zueinander mit unklaren Befehlen im Weltall. Rabo-Won stand müde auf. Zu viele Fehler und zu viel Versagen hatten eine Situation entstehen lassen, die eher früher als später zur Vernichtung seines Kampfverbandes führen würde. Der junge Flottenkommandant spürte, dass er jetzt richtig entscheiden musste, wollte er eine Katastrophe doch noch verhindern. Und er begann zu überlegen, welchen Sinn es machte, an Völkern, die man nicht einmal kannte, Rache zu nehmen. Ihm schwante irgendwo in der hintersten Ecke seiner Gedanken, dass der Rachekult in sich nicht schlüssig sein konnte. Rabo erwog zwei Alternativen. Die erste wäre nach Queenox zurück zu fliegen und dort die Regierungsmacht zu übernehmen. Auf Queenator hatten mit Sicherheit die alten Republikaner die Macht wieder an sich gerissen, nachdem die Flotte abgezogen war. Auf Queenox dagegen dürfte derzeit ein Machtvakuum herrschen, welches sich wie auch immer auswirkte. Andererseits war er sich inzwischen sicher, dass die Schuldigen verfolgen konnten, wohin er flog. Sie würden unter Umständen kurz nach seiner Landung dort auftauchen. Was das bedeutete hatte er auf Queenator erfahren müssen. Diese Erkenntnis bewog ihn zur zweiten Alternative: Die Schuldigen anzufunken und mit ihnen über einen Abzug zu verhandeln!
Bei all diesen Überlegungen war völlig unklar, wie sich Burlo, Shamro, Creno und die anderen Edlen verhalten würden. Rabo war sich jedoch völlig darüber im Klaren, dass er diesen unfähigen und ignoranten alten Herren seine Gefolgschaft von diesem Augenblick an verweigern würde.
Markus Landgraf blickte in die vor ihm versammelte Menge. Rund 350 Menschen sahen ihn an, in der Hoffnung vielleicht doch gute Neuigkeiten zu hören. Die Aussicht in den Weiten des Weltalls verloren zu sein, drückte die Stimmung an Bord. Viele hatten Angst, ihre Heimatwelten nie wieder zu sehen.
„Die Destiny“, begann Markus und zog sich damit die Aufmerksamkeit seiner Besatzung zu, „befindet sich genau dort, wo sie ursprünglich hin sollte. Wir sind in die Andromeda Galaxie geschleudert worden.“ Er machte eine Pause, um die Wirkung seiner Worte abzuschätzen. Die Leute schienen zwar überrascht aber auch erleichtert zu sein, zumindest einen bekannten Namen zu hören. „Wir ihr alle wisst, haben wir einige unserer Triebwerke verloren. In unserer derzeitigen Situation sind wir nicht fähig, Hyperraumflüge durchzuführen.“ Gemurmel wurde laut. Markus machte eine beschwichtigende Geste. „Wir wissen zurzeit auch nicht, wo sich die Milchstraße von hier aus gesehen befindet. Die Suche wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Um die Suchgeschwindigkeit zu erhöhen, werden wir von nun an alle vier Teleskope rund um die Uhr besetzen. Das heisst, wir müssen einen Schichtdienst einrichten. Ich denke pro Schicht sollte maximal 6 Stunden gearbeitet werden. Das macht dann 4 Schichten pro Teleskop, also 16 Personen. Claudine und Jakzer sind ohnehin dabei, brauchen wir also noch 14 Freiwillige.“ Etwa 150 Arme wurden in die Luft gestreckt. Markus grinste ein wenig verlegen. Seine Mannschaft grinste abwartend zurück. „Claudine, Jakzer, eure Entscheidung!“ Damit war das Problem für ihn aus der Welt. „Weiterhin brauchen wir Leute mit EVA-Erfahrung, die versuchen, die Triebwerke soweit machbar in Stand zu setzen.“
„Oder auf andere Weise mit dem Mars Kontakt aufzunehmen.“, ertönte eine selbstbewusste Stimme aus der Menge.
Markus hielt kurz inne und antwortete dann „Klar, daran habe ich noch gar nicht gedacht. Irgendwelche Vorschläge dazu?“ Eine junge Frau kam nach vorn. Markus erkannte sie, Elaja Khatzmann aus Israel, Expertin für Lebenserhaltungssysteme. „Wir sollten, während wir die Milchstraße suchen, darüber nachdenken, ob wir sie nicht irgendwie mit unseren hyperraumtauglichen Gefährten, den Jägern, Shuttles und Sonden erreichen können. Ich weiß, dass alle diese Gefährte alle nur für kurze Hyperetappen ausgelegt sind. Aber es könnte uns doch trotzdem gelingen, damit etwas zu erreichen. Nur für den Fall, dass wir die Triebwerke nicht wieder hin kriegen.“
„Da stimme ich dir unbedingt zu. Ich denke, das Manfed Hettmer schon mal mit von der Partie ist.“ Der Österreicher nickte. Der Designer des ersten Mars-Rovers und einiger anderer technischer Leckerbissen hatte zweifellos die größte Erfahrung mit den Multisonden an Bord der Destiny.
„Gut, dann brauchen wir noch Leute, die sich um den Stern, dem wir am nächsten stehen kümmern. Vielleicht gibt es dort einen Planeten, auf dem wir landen können. Würde uns die Sache doch etwas leichter machen.“ Mergesh, ein von Trombur stammender Jägerpilot meldete sich als erster. Kian Yazdi vom Mars schloss sich ihm an.
Markus sah noch einmal auf seine Mannschaft und sagte dann „Leute, wir kommen wieder zurück. Ich will schließlich wissen, ob unsere Leute Shadlo gekriegt haben.“ 'Wenn nicht,' dachte er 'habe ich nämlich meine besten Freunde verloren.'
„Ich habe Hunger!“, beschwerte sich der alte Canvo-Nub mit meckeriger, dünner Stimme. Shadlo drehte sich mit einem spöttischem Lächeln im Gesicht zu ihm um „Glaubst du, alle anderen hätten keinen Hunger? Ich lasse sofort ein paar Gemeine kommen, die uns etwas Leckeres aus der Ratsküche bringen. Canvo, mal unter uns und ganz im Vertrauen gefragt: Wo soll ich denn in dieser verdammten Einöde etwas Essbares auftreiben?“ Gedro-Zel bückte sich, hob etwas großes und sehr appetitlich aussehendes aus dem Gras auf und hielt es Canvo hin. „Wie wäre es damit?“ fragte er mit einem scheinbar uninteressierten Unterton. Shadlo glaubte seinen Augen nicht zu trauen. „Eine Khattu Frucht! Woher kommt die? Hier ist doch nirgends ein Baum!“ Gedro begann die Frucht, die etwa die Größe einer irdischen Zuckerrübe aufwies mit den Fingern zu schälen. „Sie ist auf einmal vor meinen Füßen entstanden, als ihr euch über Hunger unterhalten habt. Und hier sind noch mehr.“ Er reichte dem alten Canvo die geschälte Frucht und griff nach einer weiteren. „Sie sind entstanden?“ Shadlo kniff die Augen zusammen und musterte Gedro eindringlich. „Ja,“ antwortete dieser kauend, „erschienen, auf einmal da gewesen, materialisiert und sehr lecker.“ Shadlo schaute angestrengt in die Gegend. Wenn auf einmal Nahrung erschien, nur weil man darüber sprach, musste es auch irgendwo jemanden geben, der sie hörte. Und dieser jemand musste über ganz unglaubliche Fähigkeiten verfügen. „Hat eigentlich schon mal jemand in den Himmel geschaut?“ fragte Canvo, der zufrieden schmatzend im Gras saß. Er hatte einen Arm ausgestreckt und deutete auf etwas. Jetzt sahen die anderen es auch. Über den Himmels zog sich eine gigantische Röhre, die in großer Höhe zu verblassen schien. Der Anblick war atemberaubend. Die Röhre schien den Planeten irgendwo zu berühren. Alle waren sich darüber im Klaren, dass sie es mit einem künstlichen Objekt zu tun hatten. Jetzt war auch sicher, dass sie hier nicht allein waren. Gedro hielt den Blick auf das unfassbare Bauwerk im Himmel gerichtet und sagte sehr langsam und konzentriert „Wer auch immer unsere Gastgeber sein mögen, wir sollten hier sehr, sehr bescheiden auftreten. Wenn das hier gar die Heimatwelt der Mörder sein sollte, haben wir uns mit den völlig Falschen angelegt.“ Shadlo winkte ärgerlich ab. „Euch allen ist hoffentlich klar, dass ein Großteil der Flotte nach uns suchen wird! Sie werden uns schnell finden und uns hier raus holen.“ Diesmal war es Doron der abwinkte „Shadlo der Unbelehrbare oder wie? Niemand wird uns hier finden. Die Schuldigen haben uns bisher mit einer derartigen Raffinesse immer wieder die Suppe versalzen, dass ich nicht glaube, dass wir hier an einem Ort sind, wo man nach uns suchen wird.“ „Und was sollen wir deiner Meinung nach tun, Feigling?“ fauchte Shadlo zurück. „Abwarten,“ schaltete sich Gedro in die Diskussion ein, „mehr können wir nämlich gar nicht tun. Irgendwann wird man sich um uns kümmern. Und wir können nur warten.“ Die Einwände seiner Mitgefangenen machten Shadlo wütend. Er entfernte sich ein Stück von seinen Gefährten, legte die Hände an den Mund und rief „Wir wissen, dass ihr hier irgendwo seid. Kommt raus und zeigt euch! Oder habt ihr Angst?“
Shadlo wartete einen Augenblick, um die Wirkung seiner Worte zu sehen.
Ein paar Sekunden geschah nichts.
Dann hatte er das Gefühl, eine Springflut würde sein Gehirn überrollen!
'ANGST? SHADLO-DAN, DIE GEMEINSCHAFT MUSS KEINE ANGST HABEN. ABER SAG UNS, WARUM WIR UNS UM EUCH KÜMMERN SOLLTEN? IHR SEID NUR EIN PAAR EINFACHE VERBRECHER, DIE IN UNSERER OBHUT SIND. UNSERE FREUNDE LASSEN EUCH HIER, BIS SIE BEREIT SIND, ÜBER EUCH ZU URTEILEN!'
Die Gedanken trafen Shadlo mit solcher Wucht, dass er in einer merkwürdig verrenkten Haltung mit schief gelegtem Kopf und vor Schreck aufgerissenen Augen in völliger Erstarrung da stand. Dann sackte er in sich zusammen.
Rabo-Won wies seinen Funker an, die meist genutzte Frequenz der Schuldigen heraus zu finden. Kurz zuvor hatte er angeordnet, dass sich die Flotte hinter den zweiten Planeten zurückzuziehen hatte. Geschossen werden durfte nur noch zur Selbstverteidigung. Rabo hatte mit heftigem Widerstand seiner Kommandeure gerechnet. Es gab jedoch kaum welchen, weil die meisten seiner Mitstreiter froh waren, die Kämpfe vorerst einstellen zu können. Seit der Flucht aus dem Raman-System und der Entführung des Rates bei XB14 herrschte in der Flotte Angst vor den Schuldigen. Rabo beherrschte die Sprache der Mörder nicht sonderlich gut. Da diese Sprache aber auch bei den Schuldigen gesprochen wurde, hatte er sich seine Ansprache notiert. Er trat hinter den Funker und befahl ihm den Platz zu räumen und gemeinsam mit den anderen die Zentrale der Rabo-1 zu verlassen. Der Mann sah ihn zwar irritiert an, gehorchte aber ohne Umschweife. Der junge Flottenkommandant setzte sich vor die Kommunikationsanlage und aktivierte die Frequenz seiner Gegner. Dann begann er langsam zu sprechen.
Auf den Schiffen des Sternenbundes herrschte Verwunderung und Erleichterung darüber, dass die Ramaner alle Gefechte schlagartig abbrachen und sich hinter die Venus zurückzogen. Dort bildeten sie eine gut zu verteidigende Formation und verhielten sich still. Jörg Schabeck blickte angespannt auf den Hauptbildschirm der Perry Rhodan und versuchte sich einen Reim auf die Aktion seiner Gegner zu machen. Mitten in Jörgs Gedanken hinein meldete sich Josh, der am Kommunikationspult saß. „Jörg, die Ramaner rufen uns!“ Jörg sah zu Josh hinüber und sagte „Auf den Lautsprecher! Haben wir ein Bild?“ Josh schüttelte den Kopf und schaltete die Stimme des Ramaners auf die Lautsprecher. „.....spricht der Kommandant des ramanischen Kampfverbandes. Ich rufe die Verteidiger dieses Planetensystems. Bitte antworten sie mir, wenn sie meinen Ruf empfangen.“ Die Botschaft wurde mehrfach wiederholt. Jörg bat Heike, sofort Kanäle zur Vollversammlung des Sternenbundes zu schalten, um die Erlaubnis einzuholen, im Namen der vereinigten Planeten zu verhandeln. Diese wurde umgehend erteilt. Jörg drückte die Sprechtaste und rief den gegnerischen Befehlshaber „Jörg Schabeck hier. Ich spreche für den Sternenbund. Wenn sie über eine Einstellung der Kampfhandlungen sprechen wollen, können wir reden. Alles andere wird nicht akzeptiert.“ Es dauerte einen Moment, bis der Ramaner antwortete. Jörg vermutete, dass der auf der anderen Seite Probleme mit der alten Sprache hatte. Er klang jedenfalls ziemlich holperig. „Ich möchte mit ihnen über ein Ende des Kampfes beraten. Diese Schlacht ist sinnlos und hat schon zu viele Opfer gefordert. Willigen sie ein?“ Jörg war über dieses Angebot nur zum Teil überrascht. Die Verluste der Angreifer betrugen nach seiner Zählung 126 Schiffe. Rund 15% der ramanischen Flotte waren vernichtet worden. Wenn noch einmal die gleiche Anzahl beschädigt war, musste es dort drüben übel aussehen. „Ich stimme dem zu. Ich schlage vor, dass wir persönlich miteinander reden.“ übermittelte Jörg an seinen Gegner. Wieder verging eine Weile, bis der andere seine Antwort sendete. „Einverstanden, reden wir über die Einzelheiten.“ knarrte es aus dem Lautsprecher.
Jörg und Rabo vereinbarten ein Treffen an Bord der Mars Discovery, die genau auf halber Strecke zwischen der Perry Rhodan und der Rabo-1 platziert wurde. Rabo kam in einem Raumanzug herüber geschwebt. Jörg öffnete die Schleuse und sah dem Ramaner zu, der geschickt den schweren Anzug ablegte. Darunter trug er eine schlichte Bordkombination, auf der ein einzelnes Wort in ramanischen Schriftzeichen am linken Kragen aufgedruckt war. Jörg versuchte zu erkennen, ob der Fremde eine Waffe bei sich trug. Der andere sah den suchenden Blick, hob die Arme und sagte „Keine Waffen, kein Kampf mehr.“ Jörg lächelte und zeigte auf den kleinen Tisch. „Gut, reden wir.“ Nach zwei Stunden hatte Jörg ein völlig anderes Bild von Rabo-Won. Dieser junge Mann steckte voller Ideale, die er auf bittere Weise verloren hatte. Rabo-Won war maßlos vom Versagen seiner Führer enttäuscht. Und Jörg sah einen Mann, der plötzlich erkennen musste, dass er für die falsche Sache gekämpft hat. Gleichzeitig war er von der wachen Intelligenz seines Gegners beeindruckt.
Rabo-Won hatte zunächst erzählt, wie es überhaupt zur Legende der Rache und zu den Angriffen auf den Sternenbund gekommen war. Er beschrieb, wie er als Junge an die aufstrebende neue Ordnung im Raman – System geglaubt hatte. Wie sich der Rachekult mehr und mehr zu seinem Lebensinhalt erhoben hatte. Alles erschien so schlüssig und so logisch. Und der Rat erschien ihm so wissend, weise und allmächtig. Rabo schilderte seinen Aufstieg, die ersten Kämpfe und seine tiefe Enttäuschung über die totale Unfähigkeit der ramanischen Führung. Er schlug vor, seine Einheiten aus dem Sonnensystem abzuziehen und nach Queenox zurück zu fliegen, um dort die staatliche Ordnung wieder herzustellen und eine neue Regierung zu bilden. Jörg lehnte das ab, weil er befürchten musste, dass Rabo's Einheiten sich mit der dem Gros der Flotte vereinigten und erneut angriffen. Er wollte Garantien, die Rabo natürlich nicht bieten konnte. Dem Ramaner bereitete plötzlich die eigene Flotte Kopfzerbrechen. „Wenn wir nur wüssten, wo die Suchverbände stecken? Dann könnten wir jeweils eines meiner und eines eurer Schiffe zu ihnen senden und ihnen die neue Situation mitteilen“ erwog Rabo. Jörg stand auf und ging zum Orterpanel der Mars Society herüber. Er gab seinem Gast ein Zeichen ihm zu folgen. „Wir wissen, wo sich jedes eurer Raumschiffe aufhält. Er wies auf den Orterschirm, auf dem das letzte Bild, das von Point Nothing hereingekommen war angezeigt wurde. Rabo zeigte sich zutiefst beeindruckt „Wie immer ihr das dort zustande bringt, es ist unglaublich. Wir täten besser daran eure Brüder, denn eure Feinde zu sein.“ Jörg nickte und legte seinem Gegner die Hand auf die Schulter. „Wenn das deine feste Absicht ist Rabo-Won, dass wir Brüder sein sollten, dann lass uns beginnen den Frieden zu bauen. Jetzt und hier!“ Der Ramaner antwortete ohne zu zögern. „Gut, jetzt und hier!“
Eine Stunde später sendeten Rabo-Won und Jörg Schabeck eine Erklärung mit einem 3-Punkte-Plan über einen offenen Kanal ab. Punkt 1 besagte, dass alle Feindseligkeiten zwischen den Ramanern und dem Sternenbund ab sofort beendet seien. Punkt 2 regelte, dass Rabo-Won und Gelock gemeinsam eine neue Republik im Raman-System errichten würden, die per Volksentscheid über einen Beitritt zum Sternenbund entscheiden sollte. Punkt 3 betraf die Hauptflotte der Ramaner. Die einzelnen Verbände sollten vor die Wahl gestellt werden, aufzugeben oder heimatlos zu werden. Kommandeure, die nicht aufgaben, sollten weder in das Raman-System, noch in Gebiete des Sternenbundes einfliegen dürfen.
Das Schicksal der auf Taa herumirrenden Ratsmitglieder wurde in einem separaten Abkommen geregelt. Je nachdem, wie sich die kommenden Ereignisse entwickeln würden, stand entweder ein Gericht des erweiterten Sternenbundes zur Debatte oder ein Gericht der neuen Republik sollte den Rächern den Prozess machen.
Das Gespräch zweier Idealisten hatte einen bizarren Krieg in einen noch wackeligen Frieden verwandelt.
Andromeda Galaxie
zur gleichen Zeit
Die Gesichter, in die Markus sah wirkten niedergeschlagen, müde und deprimiert. Nach tagelangen Besprechungen, Berechnungen, Messungen und Experimenten war klar, dass es keine Möglichkeit gab, die Milchstraße mit ausreichender Sicherheit anzufliegen. Und das, obwohl inzwischen bekannt war, wo sich die Heimatgalaxie befand. Die verschiedenen Teams hatten diverse Möglichkeiten untersucht, ob es mit den an Bord befindlichen Sonden, den Raumjägern oder den Shuttles möglich sein würde, Astronauten oder zumindest eine Nachricht nach Hause zu schicken. Aber alles scheiterte an der ungeheuren Entfernung. Sicher würden alle vorhandenen Raumfahrzeuge die Strecke bis zur Milchstraße zurücklegen können, nur die Wahrscheinlichkeit, dass der berechnete Kurs auch tatsächlich dorthin führte, tendierte stark gegen Null. Um diese Aufgabe zu bewältigen, wären die Navigationsrechner der Destiny nötig gewesen und die waren teilweise unbrauchbar.
Markus hielt deshalb weiter Kurs auf den kleinen weißen Stern in ihrer Nachbarschaft. Das dortige Planetensystem war in den vergangenen Tagen mehrfach mit den Raumjägern und durch Sondenflüge erkundet worden. Der Stern hatte vier Planeten, von denen der vierte sich als Sauerstoffwelt entpuppte. Intelligentes Leben hatte sich dort scheinbar nicht entwickelt, jedoch gab es eine artenreiche Fauna und Flora. Die Welt lag in ihrer Größe ziemlich genau zwischen der Erde und dem Mars. Als sehr unerfreulich stellte sich das Klima des Planeten heraus. Die Durchschnittstemperatur lag bei -20°C. Das Thermometer erreichte selbst in der Äquatorregion maximal 5°C.
Über die Landung ließ Markus die Besatzung der Destiny abstimmen. Denn eines war klar: War das Schiff einmal dort unten gelandet, würde es nie wieder starten. Die noch vorhandene Triebwerksleistung reichte nicht mehr aus, um der Schwerkraft des Planeten zu entkommen. Es gab aber kaum brauchbare Alternativen, also stimmten die Besatzungsmitglieder geschlossen für die Landung. Vorher erhielten Stern und Planet Namen. Das gab der fremden Umgebung etwas greifbares. Landgraf's Stern wurde ab jetzt von Yazdi's Welt umkreist.
Die Landung verdiente nur entfernt diese Bezeichnung. Was die Destiny bei ihrem letzten Manöver hinlegte, ähnelte eher einem kontrollierten Absturz. Glücklicherweise hielten die Landebeine stand.
Nach der Landung begannen die unfreiwilligen Kolonisten damit, ihr ehemaliges Raumschiff umzubauen. Hier unten brauchte man andere Dinge, als ein Raumfahrzeug. Kraftwerke, Behausungen und Gewächshäuser entstanden. Kleine Fabriken wurden errichtet, so gut es eben ging. Aus der Krankenstation entstand ein kleines Hospital. Wer im Fach Biologie bewandert war, machte sich daran, heraus zu finden, welche Pflanzen, Tiere und Fische essbar waren. Die Bordcomputer wurden aus dem Wrack ausgebaut und in einer Art Verwaltungszentrum neu verschaltet und programmiert. Alle Daten, die noch aus der Heimatgalaxie vorhanden waren, wurden archiviert. Das galt besonders für Bilder, Musik und Filme. Vier Multisonden starteten mit neuen Programmen versehen auf eine niedrige Umlaufbahn, um als Wettersatelliten zu fungieren. Weitere Sonden wurden in geostationäre Orbits geschossen wo sie als Kommunikations- und Navigationsaufgaben erfüllten. Insgesamt betrachtet entpuppte sich die Situation der Gestrandeten als gar nicht so schlecht.
Zwei Jahre nach der Landung war Elaja's Town eine funktionierende Siedlung in der der erste Nachwuchs das Licht der Welt erblickte. Der erste menschliche Bürger in der Andromeda – Galaxie war der Sohn von Kian Yazdi und Elaja Khatzmann. Trotz der Freude über den kleinen Ken dachte Kian mit Wehmut daran, dass in unerreichbarer Ferne Ken's Brüderchen oder Schwesterchen schon vor längerer Zeit zur Welt gekommen sein musste. Weitere Kinder folgten, was es notwendig machte einen Kindergarten und später eine Schule zu errichten. Das vorhandene und das neu gewonnene Wissen musste weitergegeben werden. Denn irgendwann sollte es eine Generation geben, die in der Lage sein würde nach Haus zu fliegen.
Epilog
30.10.2039
Rina Yazdi lag zufrieden in ihrem Absorbersessel. Die Fifth Dimension hatte als achtes Schiff der Andromedaflotte die Nachbargalaxie erreicht. Bis jetzt war die weiteste Expedition, die Menschen je unternommen hatten ohne Zwischenfälle verlaufen. Die als Navigationsrechner eingesetzten Nanocomputer erledigten ihre Aufgabe auch über eine Entfernung von mehr als 2 Millionen Lichtjahren fast metergenau. Rina blickte fasziniert auf ihre Monitore. Der fremde Himmel um sie herum versprach wissenschaftliche Leckerbissen noch und noch. Der Sternenbund hatte 10 Fernerkunder in die Nachbargalaxie entsandt. Es würde unter den Raumschiffen eine Art Forschungsolympiade geben. Der Auftrag lautete, einen relativ kleinen Abschnitt der Andromeda Galaxie zu kartographieren. Die entscheidende Frage war natürlich, ob man in der fremden Sterneninsel auf intelligentes Leben treffen würde. Außerdem war es ein Test für diesen völlig neuen Schiffstyp. Fernaufklärer der Raman-Klasse waren technische Wunderwerke. Mit diesem Typ hatte man sich endgültig von den Schiffen mit Mandelbrotantrieb verabschiedet. Triebwerke mit 3-quantilen Substanzwandlern waren wirklich viel eleganter, als die alten Teilchenmixer.
Die Tochter des 2012 im Krieg gegen die Ramaner verschollenen Kian Yazdi wandte sich ihrer leitenden Astronomin zu. Yasemin Knuth, ebenfalls Tochter eines Grossen Alten lächelte ihr zu und erkundigte sich mit einem provokativen Unterton nach den Wünschen ihrer Kommandantin. “Was hast du bis jetzt für mich, Süße? Irgendwas Sensationelles?” fragte Rina. Yasemin ging die Angaben auf ihrem Monitor durch. “Zurzeit 2579 Sterne, 104 Absorptionsnebel, 88 Reflektionsnebel, 7 Dunkelwolken und 7 Pulsare. Ein kleiner weißer Stern scheint ein irres Sammelsurium an Radiosignalen abzugeben. Genosch analysiert das gerade und versucht den Wellensalat aufzusplitten. “ Rina schwang sich aus dem Sessel und gesellte sich zu Yasemin. “Scheint ungewöhnlich zu sein. Den sollten wir uns zuerst vornehmen.” “Und ob wir das sollten! Hört euch das mal an!” Genosch schaltete sein Frequenzanalysepanel auf die Schallglocke in der Zentrale. Rina, Yasemin und die anderen Raumfahrer in Herzen der Fifth Dimension glaubten ihren Ohren nicht zu trauen. Was sie hörten, war eindeutig Englisch, es war eindeutig ein DJ und es klang nach einer dieser alten Radiosendungen, die vor Einführung des AMM (Alltime Multi Media) gesendet wurden.
“....und blicken wir noch schnell einen Blick auf's Wetter in Elaja's Town: Von Norden her nähert sich ein verdammter Blizzard, der uns die Nacht auf -50°C abkühlt. Also hübsch das Popöchen an die Heizung geschmiegt und die Nase drinnen lassen. Soviel dazu! Ist Scheisse, bleibt Scheisse! Und jetzt aus unserer Musikdatenbank ein Stück für alle Verliebten, das schon euren Brüdern und Schwestern auf der guten alten Erde Tränen in die Augen getrieben hat. Hier ist Robbie und Feel!”
Und dann erklang tatsächlich ein Robbie Williams Oldie. Rina hieb ärgerlich auf die Com-Taste an Yasemins Platz “Genosch, was soll der Mist! Wenn du das Humor nennst, ist das schlichtweg ein ganz beschissener! Lass das und gib uns echte Daten!” Genosch antwortete nicht sondern kam ebenfalls zu Yasemin herüber. Sein Gesicht sah keineswegs amüsiert aus. “Das sind echte Daten. Und sie kommen von dem Stern den wir als FD 504/2039 gelistet haben.” Bevor jemand etwas dazu sagen konnten, schaltete sich der DJ wieder in die Musik ein und johlte fröhlich in sein Mikro “Auch wenn draußen der Schneesturm tobt Leute; Ken Yazdi ist bei euch! Bei uns geht's weiter mit Beyonce, Green Day und den Sugar Babes. Also bleibt dran und bleibt warm!” Rina sah Genosch noch einmal eindringlich an. “Kein Scherz, sagst du?” Genosch schüttelte den Kopf. “Kein Scherz!” sagte er mit fester Stimme, “Und wenn ich mir eine erste Analyse gestatten darf, haben wir die Verschollenen der Destiny gefunden und du hörst gerade deinem Bruder zu.”
First Village
18.11.2039
Markus Landgraf und Jörg Schabeck sahen einander lange einfach nur wortlos an. Der eben aus der Andromeda Galaxie zurückgekehrte Kommandant der Destiny und der seit langem pensionierte Marsentdecker. Zwei alte Männer, die mehr gesehen und erlebt hatten, als ein Menschenleben zu fassen mochte. Nach 27 Jahren sahen sie sich wieder.
Nach einer Weile fragte Markus “Was, alter Freund hat uns hier und heute wieder zusammen gebracht?” Jörg dachte einen langen Augenblick nach “Zufall Markus, einfach nur unglaublicher, unbegreiflicher, glücklicher Zufall!” Markus blickte in die Sterne am Himmel von First Village “Nur Zufall? Glaubst du das wirklich?” “Ja,” antwortete Jörg “das glaube ich wirklich. Aber ich müsste verrückt sein, wenn ich daran nicht hin und wieder zweifeln würde.”