Sie sind hier: Startseite » Science Fiction » Zeitenbruch

Teil 1

Gorl's Entdeckung

18.03.2176, Museum für Menschheitsgeschichte, Kelamnapa, Planet Trombur

Sein Gesicht spiegelte sich in der Wand des Museumssaales. Er zog eine Augenbraue hoch und lächelte sich selbst kurz zu. Teraschnek–Gorl Moiseyenko hatte allen Grund zu dieser kleinen Geste, denn er war in dieses Museum gekommen, um einem Festakt beizuwohnen. Gorl, der Urenkel einer Big Old würde heute in diesem Museum den höchsten Wissenschaftspreis des Galaktischen Bundes erhalten. Er atmete deutlich hörbar aus, wendete den Blick von seinem Spiegelbild ab und ging durch den Saal. Die Blicke vieler Anwesender hefteten sich auf ihn, was er mit einer gewissen Genugtuung registrierte. Wissenschaftler aller Planeten waren zur Preisverleihung gekommen, waren seinetwegen aus fünf Galaxien angereist. Gorl empfand eine gewisse Verwunderung darüber, dass er kaum Aufregung empfand. Ohne Zweifel war er einer der jüngsten Menschen in diesem Saal, gerade mal 44 Terrajahre alt. Die meisten Gäste hatten längst 100 Jahre und mehr Lebenszeit vorzuweisen. Ein paar Greise mochten sicher auch 130 oder 140 Jahre alt sein. Und alle Anwesenden entstammten den Eliten ihrer Herkunftswelten. Trotzdem empfand Gorl auf seinem Weg zum Podium eine fast heitere Gelassenheit.

Am Podium wartete eine hochgewachsene, auffällig schlanke Gestalt mit weißer, fast durchsichtiger Haut auf den Preisträger. Die Gesandte der Ahnen vom Planeten Taa, namenlos, wie alle Mitglieder ihres Volkes und scheinbar aus nichts als Würde zu bestehend. Sie wies Gorl mit einer winzigen, fast unsichtbaren Geste einen Platz
neben Samoka Lee und Janita Landgraf zu, die bereits vor einer halben Stunde auf dem Podium Platz genommen hatten. Brent Spiner, seine Tochter Lena und sein Sohn William vervollständigten die Gruppe. Gorl setzte sich und nahm erst jetzt wahr, dass die ganze Zeit die Nanocams zahlloser Newschannels um sie herum schwebten, die das Geschehen lückenlos an die Multisonden im Orbit um Trombur übertrugen. Die Sonden speicherten die Information und brachten sie innerhalb weniger Tage bis in die letzten Ausläufer der Gao Zwerggalaxie am Arsch von Andromeda. Soweit die Menschheit technisch auch sein mochte, die Informationsübertragung brauchte noch immer ihre Zeit. Bis heute……
Denn heute war Gorls Tag, von dem er jede Nanosekunde erleben, erfahren, aufsaugen wollte. Die Gesandte neigte sich stumm der wartenden Menge zu. Die Szenerie wirkte seltsam schlicht und irgendwie grotesk. Hier und heute sollte die unglaubliche Entdeckung, die Gorl gemacht hatte der Menschheit vorgestellt werden, aber bis auf das Podium, die Menschen und die Nanokameras in der Luft war nichts in dem Raum. Keinerlei Präsentationstechnik, die in vollkommen realistischen Hologrammen Gorls Erfindung hätte darstellen können. Auch kein Schwebemikrofon, welches die Laudatio an unsichtbare Lautsprecher übertragen hätte, damit sie für alle Anwesenden gut hörbar wäre. Noch nicht einmal eine Spur der Erfindung selbst war im Saal der 1. Entstehung zu entdecken.

Und niemand schien sich darüber zu wundern!

Die Gesandte wandte sich dem ruhig auf seinem Platz sitzenden Gorl zu und lächelte sanft. Gorl nickte ihr zu, gab ein seichtes Lächeln zurück und schaute dann zu den Wartenden hinab. Plötzlich zuckte die Menge kollektiv zusammen! Gespräche erstarben und wichen Lauten des Erstaunens. In allen Gehirnen war plötzlich Musik. Laut, besitzergreifend, aber nicht unangenehm erfüllte sie den Geist eines Jeden im Saal. Bilder kamen hinzu, die sich vom ruhigen Antlitz einer urzeitlichen Welt in eine rasante Achterbahnfahrt durch 20 Millionen Jahre Menschheitsgeschichte verdichteten. Bilder von ungeheurer Klarheit und Ausdruckstärke, erdacht vom Gehirn der Gesandten von Taa. Bilder, die jeden Geist hier in ihren Bann schlugen, fesselten, entführten; vom Anbeginn des Menschseins, bis in die Zeit, da Menschen innerhalb weniger Tage von der Milchstraße in den Andromedanebel fliegen konnten. Bilder, die von einer Vertreterin des ältesten Menschengeschlechtes gedacht und den Besuchern im Museum so real erschienen, dass sie die Realität des Saales für den Moment ablösten. Gorl, der ebenfalls völlig in den Gedankenbildern der Ahnin gefangen war, „hörte“ plötzlich eine Botschaft in seinem Kopf, die einzig ihm galt: „Denke jetzt an deine Erfindung. Stell sie dir so vor, wie du sie den Menschen hier zeigen möchtest“. Und er dachte, produzierte Bilder in seinem Gehirn und spürte, dass mehr als ein Geist in seinem Kopf war. Die telepathisch begabte Frau von Taa griff nach seinen Gedanken und gab sie an die Gäste weiter.

Jeder im Saal „sah“ Gorls Entdeckung so, als ob er sie selbst gemacht hätte. In seinen eigenen Gedanken, die doch nicht seine waren. Und jeder sah, wozu die Menschen von nun an fähig sein würden. In den Köpfen entstand das Bild einer Raumstation, die vor einem rötlich leuchtenden Wasserstoffnebel im All schwebte. Gorls Gedanken führten die Besucher in das Innere von Camp Tschao. Gänge, die Zentrale, schließlich das Labor. Alles recht beengt und nicht gerade auf dem neuesten Stand. Camp Tschao war ja auch schon 94 Jahre alt. Die Station war zur Erforschung von Hinds veränderlichem Nebel oder NGC 1554-5 im Jahr 2082 dort errichtet worden. Irgendwann geriet sie in Vergessenheit, bis Gorl sie 2161 als idealen Ort für seine Forschungen erkannt hatte. Seitdem hatte er sich dort der Erforschung und Entwicklung der Hyperwellenübertragung gewidmet. Heute nun präsentierte er die Früchte seiner Arbeit. In Zukunft würde es möglich sein, Informationen aller Art praktisch ohne Zeitverlust durch das Universum zu senden. Man benötigte nur einen Sender, der die Sendedaten jedwelcher Art in die zeitlose, fünfte Dimension transferieren konnte. Verfügte man an beliebiger anderer Stelle über einen Empfänger, der in eben diese übergeordnete Dimension hinein lauschte, konnte man die gesendete Information selbst Millionen Lichtjahre entfernt im gleichen Moment sehen. Gorl hatte immer die Vision eines galaktischen Multimedia-Netzes gehabt.

Heute war diese Vision Wirklichkeit geworden. Die Technologie, die er auf Camp Tschao entwickelt hatte, ließ sich selbst in tragbare Geräte einbauen, so dass jeder Bewohner des Menschenreiches zu jeder Zeit auf jede gewünschte Information würde zugreifen können. Die Medien und die Wirtschaft standen am Beginn eines neuen Zeitalters, welches mit der Internetrevolution, die vor 200 Jahren auf dem Planeten Erde im Sonnensystem stattgefunden hatte vergleichbar war. Nur, dass es heute nicht um ein kosmisches Staubkorn ging, sondern um ein Reich, welches sich über zwei Galaxien und 11 Zwerggalaxien mit zurzeit 83 bewohnten Planeten erstreckte. Gorls Entdeckung würde das Leben von 140 Milliarden Menschen radikal verändern. Seit 2161 war viel geschehen.

Gorl's Impuls

20.07.2169, Raumstation Camp Tschao

Die Daten auf dem Hauptmonitor waren rätselhaft. Sie widersprachen komplett dem, was Gorl als Ergebnis des heutigen Experiments geplant hatte.

Merkwürdig!

Merkwürdig allein deshalb, weil der gleiche Versuch gestern reibungslos funktioniert hatte. Die Sendung eines Zeitsignals an eine Reihe von Multisonden, die in Abständen von 1, 10 und 100 Lichtjahren von Camp Tschao positioniert waren, dass Signal aber alle zur selben Zeit empfingen, hatte funktioniert. Der einsame Forscher in der alten Raumstation in einem völlig verlassenen Winkel der Milchstraße hatte einen Durchbruch erzielt. Und heute? Nur einen Tag später? Heute war der Erfolg wieder hin. Die Übertragung des Signals hatte nicht geklappt. Die Daten auf dem Monitor besagten, dass das heute gesendete Signal zwar kurz in die übergeordnete Dimension eingetreten war, dann aber wieder in den Einsteinraum zurückgefallen war, wo es ewig unterwegs sein würde, bis irgendwer es als ganz gewöhnliches Funksignal empfangen würde.

20.07.2169, ca. 20.000 Kilometer vor Camp Tschao, Fünfte Dimension

Hätte hier ein Mensch sein können, würde er in ein endloses, hellgraues Nichts schauen. Dieses Nichts würde immer so sein, niemals wäre eine Veränderung für den Beobachter wahrnehmbar. Denn ohne Zeit konnte es kein Ereignis geben, welches der Mensch mit seiner zeitabhängigen Wahrnehmung der Dinge hätte registrieren können. Genauso wenig, wie ein Mensch mit seinen zeitlich aufeinander folgenden Körperfunktionen hier existieren könnte. Genau jetzt hätte unser angenommener Beobachter aber etwas registriert. Denn genau hier, wo es nur Raum gab, gewahrten sich plötzlich Raumzeit und Energie! Gorl’s Zeitsignal hatte seinen Weg gefunden. Wäre nun das Verhältnis von Raumzeit und Energie ausgeglichen gewesen, hätte sich das Signal im zeitlosen Raum einfach gleichmäßig verteilt. Bei diesem Signal war dem Sender aus dem Einsteinuniversum jedoch ein Fehler unterlaufen. Der Energiebetrag des Signals war zu niedrig, um den notwendigen Ausgleich zwischen den Dimensionen zu schaffen. Dadurch entstand im Nurraum ein Zustand, den es nach den hier geltenden Naturgesetzen gar nicht geben konnte. Reine Zeit entfaltete sich in der fünften Dimension. Der auf Ausgleich bestrebte Raum setzte der eingedrungenen Zeit Energie entgegen, um sein statisches Niveau wieder zu erlangen. Eine Blase aus purer Energie schloss die Zeit ein und katapultierte sie wieder zurück in das untergeordnete Raumzeitgefüge. Aber auch hier war das neu erschienene Zeit-Energie-Gebilde nicht willkommen. Nur der Teil des Signals, der auch ursprünglich aus dem vierdimensionalen Universum gesendet worden war, fiel auch dorthin zurück. Der Rest, eine gigantische Zeit-Energie-Blase, raste zwischen den Dimensionen in abgewandter Richtung davon.

Wann?, Roter Riese……., 2800 Lichtjahre von Camp Tschao entfernt

Der Stern war alt, sein Heliumvorrat neigte sich dem Ende zu und schon vor langer Zeit hatte er damit begonnen sich aufzublähen. Riesig war wohl die charmanteste Untertreibung, die man dem alten Burschen angedeihen lassen konnte. Die Gashülle hatte sich auf die Größe eines Planetensystems ausgedehnt, während sich im sterbenden Kern der roten Sonne unbegreifliche Prozesse am Rande jeder bekannten Physik abspielten. Im aufgewühlten Plasma des Sonnenkerns wurde jede physikalische Größe verbogen, umgekehrt, zerrissen, neu geschaffen und wieder in die Mangel genommen. Die Explosion in einer gigantischen Supernova stand unmittelbar bevor. 300.000, vielleicht auch 400.000 Jahre noch und der Stern würde sich selbst auslöschen.

Auf diesen Stern traf die Zeit-Energie-Blase, die Gorl entfesselt hatte. Der pulsierende Sonnenkern befand sich exakt auf der Route, welche die Blase eingeschlagen hatte. Die ungeheuren Energien rissen sie aus der Zwischendimension endgültig zurück in den vierdimensionalen Raum. Dabei riss die Blase ein wenig von der Kernmasse der Sonne mit, die sich sofort dort konzentrierte, wo sie existieren konnte, in der eingeschlossenen Zeit nämlich. Durch den rüden Dimensionswechsel wurde die Blase abgebremst und in eine andere Richtung gelenkt. Die enorme Gravitation des Sterns führte ferner dazu, dass die Blase mitsamt dem umgebenden Raum um ca. 1.600 Kilometer versetzt wurde. Gleichzeitig veränderte sich die Form und Größe des Gebildes. Die Schwerkraft des Riesensterns drückte die Blase platt wie einen Pfannkuchen. Ein etwa drei Meter durchmessender Ring wurde gebildet, in dessen Mitte die mitgerissene Sonnenmasse waberte, umgeben von der puren Energie aus einer anderen Dimension.

Hätte ein Mensch den Ring hier beobachten können, wären ihm mehrere Dinge aufgefallen.
Beispielsweise, dass der Kurs des Ringes auf einen gelben, ca. 170 Lichtjahre entfernten Stern zielte. Hätte der imaginäre Beobachter die Zeit innerhalb des Gebildes messen können, wäre im aufgefallen, dass sie rückwärts lief und am Beginn der Messung rund 64 Jahre hinter der Eigenzeit des Beobachters zurücklag. Und hätte unser Betrachter ganz genau hinsehen können, wäre ihm auch aufgefallen, dass der Ring den gelben Stern in einer Entfernung von 150 Millionen Kilometer passieren würde.

Aber hier war kein Mensch. Selbst wenn, hätte er den Ring nicht sehen können. Denn der bewegte sich zwar vorwärts durch den Raum, aber rückwärts durch die Zeit.

Brent zieht um

17.09.1999, Portsmouth, Großbritannien

Kathleen Spiner schaute ihrem Mann kopfschüttelnd nach. Warum musste Brent selbst beim Beladen des Möbelwagens den Rambo geben und die Kiste mit seinen Unterlagen und Geschichts-DVD’s alleine schleppen. Brent war mit 46 Jahren und einem Konstrukteursjob im Büro immerhin der Idealkandidat für einen Hexenschuss und die Sportskanone gab er höchstens beim Sonntagsspiel vor dem Fernseher. Schnaufend stellte er die Kiste neben das bereits an der Laderampe wartende Gegenstück, welches seinen Computer, sein Notebook und diverses Zubehör, wie Beamer und Drucker enthielt. Da standen sie also am Möbelwagen: Der (Ex-) Waffenkonstrukteur Brent Spiner, nebst seines gesamten Wissens. Kathleen Spiner wollte gar nicht wissen, was Brent dort alles mitschleppte. Sie war froh, dass ihr Mann nach 10 Jahren in der Konstruktionsabteilung von Vickers Defense Industries endlich von der Waffenbauerei abließ und einen Job bei einer Firma, die Gezeitenkraftwerke konzipierte, angenommen hatte. Die Sahnehäubchen bei dem neuen Job waren, dass die Firma in Penzance in Cornwall saß und dass Kathleen und Brent in ein hübsches, altes Häuschen dort ziehen würden. Eine Rosamunde Pilcher – Idylle, wie aus dem Bilderbuch.

Brent winkte mit hochrotem Kopf, aber stolz wie Oskar zu Kathleen rüber und machte sich daran, die beiden Kisten auf die Laderampe des Umzugswagens zu stellen. Irgendetwas störte ihn jedoch, ein Luftzug im Nacken, verbunden mit einem leisen Brausen in der Luft. Brent sah auf und blickte auf etwas Rundes, das fast senkrecht von oben auf ihn zufiel. Ihm blieb weder Zeit zu denken, geschweige denn auszuweichen.

Das Ding traf ihn voll!

Kathleen sah von der Haustür aus eine Leuchterscheinung, die auf ihren Mann niederging. Sie wollte schreien, als das merkwürdige Ding Brent auch schon erreicht hatte. Sie nahm gerade noch mit eisigem Entsetzen wahr, dass ihr Mann dort am LKW buchstäblich aufgelöst wurde, als sie auch schon von einer Druckwelle in den Hauseingang zurückgeschleudert wurde. Sie schlitterte über den Flur, prallte an eine Umzugskiste und spürte, wie ihr der Aufprall die Schulter brach. Dann knallte sie gegen das Treppengeländer und verlor das Bewusstsein.
Auf der Straße war mittlerweile völliges Chaos ausgebrochen. Der Aufprall des Ringes hatte den Treibstofftank des Möbelwagens explodieren lassen, der jetzt in hellen Flammen stand. Brennende Möbelstücke lagen überall auf der Straße verteilt und in den umliegenden Häusern gab es kaum noch intakte Fensterscheiben. Es dauerte nicht lange, bis die ersten Rettungskräfte am Ort des Geschehens eintrafen. Sie bargen einige Verletzte, darunter auch Kathleen Spiner, löschten die Brände und versuchten die Ordnung wieder herzustellen. Die Polizei war ebenfalls eingetroffen. Nachdem sich das Chaos einigermaßen beruhigt hatte und man Schaulustige und die Leute von der lokalen Presse einigermaßen im Griff hatte, sahen sich Polizisten und Feuerwehrleute den Schauplatz genauer an. Hinter dem Wrack des Möbelwagens stießen Sie auf etwas Seltsames, dass niemand zu erklären vermochte. Dort gab es eine leicht ovale, etwa 2 Meter durchmessende Stelle, an der das Material der Straße wie ausgetauscht erschien. Die Stelle war vollkommen flach, aber die Oberfläche sah mehr als merkwürdig aus. Auf den ersten Blick schien es sich um ein Konglomerat aus glasigen und vollkommen schwarzen Kristallen zu handeln. Am merkwürdigsten war jedoch, dass zwischen den Kristallen grellblaue Entladungen stattfanden. Zudem ging von der Oberfläche eine erhebliche Hitze aus.

Alles wäre den Anwesenden vermutlich noch weit merkwürdiger erschienen, wenn sie gewusst hätten, dass an eben dieser Stelle kurz zuvor noch Brent Spiner und zwei Umzugskisten gestanden hatten. Darauf deutete aber rein gar nichts mehr hin.

Brent's Reise

Brent schrie, als das Ding ihn in einen grellen Blitz hüllte. Er spürte mit maßlosem Entsetzen, dass er buchstäblich zerfiel. Und sich im gleichen Augenblick auch wieder zusammensetzte.

Er lebte!

Er sah erst erstaunt an sich hinab, dann schaute er wieder zu Kathleen herüber - und sah eine Wiese und drei Pferde vor sich! Brent fuhr herum und sah, neben seinen beiden Umzugskisten einen von kleinen Büschen gesäumten Feldweg der auf eine Gruppe flacher Gebäude zuführte. Um die Bauten erstreckte sich ein Zaun und am Eingang, wo der Weg endete stand ein Wachturm. Und auf dem Wachturm stand ein Mann in Uniform und starrte Brent an. Dann schwenkte er ein Maschinengewehr und begann hektisch eine Glocke zu läuten. Aus dem Tor galoppierten 4 Reiter auf den völlig entgeisterten Brent zu. Als sie ihn erreichten, hielt ihm einer einen Säbel vor das Gesicht und sagte etwas in einer Sprache, die Brent vielleicht schon mal im Fernsehen gehört haben mochte. Der Reiter trieb ihn mit dem Säbel in Richtung des Tores, aus dem jetzt eine Gruppe weiterer Soldaten kam, die Brents Umzugskartons mitnahmen. Am Tor wurde Brent von anderen Soldaten in Empfang genommen, die ihn mit vorgehaltenen Gewehren zu einem der Gebäude brachten.

Brent hatte Gelegenheit, sich die Soldaten näher anzusehen. Was waren das für Uniformen? Wo hatte er so was schon mal gesehen? In den Nachrichten? Auf dem Balkan? Stimmt, bei den serbischen Truppen, die den Mist bei Srebrenica angerichtet hatten. Die trugen auch so seltsame Uniformmützen. Aber wie kam er nach Serbien? Zudem machten sowohl Waffen, als auch Uniformen einen völlig antiquierten Eindruck auf Brent. Die Waffen sahen ihm nach Armeekarabinern aus osteuropäischer Fertigung aus. Allerdings schienen sie aus den zwanziger Jahren zu stammen. Was sollte das?
Die Gruppe gelangte zu einer Tür, durch die sie ihn in ein Zimmer stießen. Darin saßen zwei weitere Soldaten, offenbar Offiziere. Einer von Brent’s Häschern salutierte und machte eine Meldung. „Kto to jest?“, fragte einer der Offiziere. Der Angesprochene zuckte die Schultern. Der Offizier sah Brent an. „Nazywa? Pan nazywa?“ Brent blickte zurück und zuckte ebenfalls die Schultern. „Ich verstehe sie nicht.“, antwortete er auf Englisch und fragte dann „Wo bin ich hier?“ Die beiden Offiziere sahen erst sich an, dann wieder Brent. Der andere, der bis jetzt nichts gesagt hatte, sprach eine Weile lang mit einem Soldaten auf dem Flur. Der salutierte, und ging rasch davon. „Niemiec?“, fragte der erste Offizier, wieder an Brent gewandt. Der machte wieder eine hilflose Geste. Er verstand die Leute einfach nicht. Unvermittelt trat ein junger Soldat in das Zimmer. Obwohl er keinen hohen Rang zu bekleiden schien, unterschied er sich deutlich von den anderen. Seine Uniform war aus deutlich feinerem Stoff gefertigt. Allein die Knöpfe waren von deutlich anderer Qualität, ebenso wie das Koppel und sein Pistolenhalfter. Auch sein Auftreten und seine Haltung zeigten, dass dieser Mann offenbar einer höheren Gesellschaftsschicht entstammte, als die anderen Anwesenden. Der Neuankömmling salutierte kurz, aber recht lässig und lächelte Brent freundlich an. Dann streckte er ihm die Hand entgegen und fragte in leicht gefärbtem Englisch „Guten Tag. Graf Andreij Tadicz. Sind sie Amerikaner?“ Brent lächelte zurück, das erste Mal seit er hier angekommen war. „Nein“, sagte er, „Ich bin Brite. Mein Name ist Brent Spiner.“ Tadicz lächelte wieder und antwortete „Ah, jetzt höre ich es. Sie sind aus Dorset oder Somerset, stimmt’s?“ Seinen beiden Vorgesetzten zugewandt sagte er kurz „Anglik!“, woraufhin diese sich sichtbar entspannten. Brent war wirklich erstaunt! Woher sprach ein junger Mann im vermutlich hintersten Serbien so gut Englisch? Tadicz nahm ihm die Antwort ab „Ich habe in Durham Metallkunde studiert, nur um das vorwegzunehmen. Verzeihen Sie bitte den Amerikaner, aber ich kam aufgrund ihrer seltsamen Kleider zu dieser Annahme. Und jetzt erklären sie uns doch bitte, was sie in einer Kaserne der polnischen Ulanen tun, wie sie hierhergekommen sind und was in den Kisten ist, die sie bei sich hatten? Ach ja, auch wo ihre Begleiter sind, würden wir gern erfahren, denn allein können sie die Kisten schlecht hergeschafft haben.“

Brent sah den Grafen verwirrt an. Polnische Ulanen? Wie zur Hölle kam er von der Camden Lane in Portsmouth nach Polen? „Bitte Graf Tadicz, würden sie die Kiste öffnen, die mit Documents gekennzeichnet ist und die grüne Mappe mit meinen Papieren herausnehmen?“ Tadicz griff in seine Uniformjacke und zog genau diese Mappe heraus. „Ich habe mir bereits erlaubt, ein wenig zu recherchieren. Nur für den Fall, dass sie uns nicht die Wahrheit erzählen. Aber es scheint zumindest, als ob sie das tun.“ Tadicz sah ihn eine Weile lang an und hielt dann Brent’s Ausweis in die Luft. „Das hätte ich ihnen zumindest geglaubt, wenn sie echte Papiere bei sich gehabt hätten. Aber dieser Ausweis hier enthält so viele dumme und peinliche Fehler, dass ich ihnen wohl kaum glauben kann. Dass sie 1953 geboren sind halte ich für Utopie. Ebenso, dass dieser Ausweis im Januar 1992 in Portsmouth ausgestellt wurde.“ Das Lächeln des Grafen war einem stechenden Blick gewichen. Brent erwiderte unsicher „Aber das ist so! Ich bin 46 Jahre alt und den Ausweis musste ich vor sieben Jahren erneuern lassen, weil der alte abgelaufen war. Und ich habe keine Ahnung, wie ich hierhergekommen bin. Vor 30 Minuten habe ich noch vor meinem Haus in Portsmouth gestanden und Umzugskisten verladen und jetzt…“ Brent sah Tadicz hilflos an. Er hätte heulen können.

„Nun Mr. Spiner, das kann leider alles nicht wahr sein, was sie uns da erzählen.“ Tadicz wies auf die Wand hinter Brent. „Der Kalender“, sagte er mit einer gewissen Enttäuschung in der Stimme, „sehen sie ihn an.“

Brent ging langsam auf den Kalender zu und sah auf die Jahreszahl über dem Kalenderblatt:

1935!

Vor Brent’s Augen begann sich alles zu drehen. Er griff sich an den Kopf und dachte sich, dass er einfach ohnmächtig hinter dem Möbelwagen lag und das hier einfach nur ein mieser Traum war. Dann spürte er Tadicz Hand auf seiner Schulter, die ihn herumzog. „1953 kann also nicht sein, oder? Und jetzt erzählen sie uns bitte die Wahrheit.“ Brent glaubte, gleich durchzudrehen. Er unterdrückte mühsam einen Impuls, einfach loszubrüllen und um sich zu schlagen. Zweifellos hätten sie ihn dann sofort erschossen. „Das ist die Wahrheit. Ich weiß doch auch nicht, was los ist.“ presste er mühsam hervor. „Kommen sie bitte mit zu meinen Kisten. Ich zeige ihnen, dass ich nicht lüge.“

08.11.2169, 20.000 Kilometer vor Camp Tschao, Fünfte Dimension

Der Raum vor Camp Tschao hatte sich seit dem Eindringen der Zeit verändert. Winzige Bestandteile der unausgeglichenen Raumzeit waren noch immer dort. Den Kernphysikern waren diese kleinsten bekannten Teilchen, die sich an der Grenze zwischen Materie und Zustand befanden seit rund 200 Jahren als Quanten bekannt. Ebenfalls seit langem bekannt war, dass jedes dieser Teilchen über ein Zwillingsteilchen oder verschränktes Teilchen verfügte. Die Kuriosität der Quanten bestand darin, dass die Zwillingsteilchen stets gleiche Zustände (Spins) einnahmen, ganz gleich, wie weit sie voneinander getrennt waren. Ein Teil der Quanten aus der Raumzeit – Blase befand sich nach wie vor hier und im Sender in der Raumstation, ein weiterer Teil in dem Roten Riesenstern, andere Teile lagen in der Camden Lane in Portsmouth und wieder andere befanden sich in Brent und seinen Umzugskisten.

09.11.2169, Raumstation Camp Tschao

Gorl war es gelungen, nach langen Analysen heraus zu finden, was zum Rückfall eines seiner Signale in den Normalraum geführt hatte. Ein Energietransformator war mit zu geringer Leistung angelaufen. Seit ihm dieser Fehler bekannt war, liefen die Signale glatt durch den Überraum und konnten auch sauber von dort empfangen werden. Gorl platzierte seine Multisonden in größeren Entfernungen, wobei er der Eintrittspunkt, an dem das gesendete Signal in die fünfte Dimension eintrat immer auf einer Kreislinie lag, die 20,000 Kilometer von Camp Tschao entfernt lag. Dabei traten auch immer wieder Signale an exakt der Stelle in den Überraum ein, an der der Fehler passiert war. Und jedes Mal änderten die Zwillingsquanten ihren Spin.

21.09.1935, Warschau, Polen

Seit gestern befand sich Brent Spiner in den Händen des polnischen Geheimdienstes. Der junge Graf Tadicz hatte sich in den letzten Tagen gründlich mit dem Inhalt von Brent’s Umzugskisten befasst. Darunter mit etlichen Aufzeichnungen über den Polenfeldzug der Deutschen Wehrmacht, der in vier Jahren dieses Land hinwegfegen sollte. Außerdem hatte Brent ihm auf seinem Notebook Filmdokumente aus den Jahren des Weltkrieges gezeigt. Für einen Menschen aus dem Jahr 1935 war die Begegnung mit einem modernen Computer schlichtweg unbegreiflich. Das Spiner dazu noch alles über die Zukunft Polens zu wissen schien und dies auch noch mit Filmen und Büchern belegte, ließ den hochintelligenten Tadicz schnell erkennen, dass Brent tatsächlich aus der Zukunft kam.

Der Geheimdienst behandelte Brent recht zuvorkommend. Die Tatsache, dass man hier einen Ingenieur hatte, der im Jahr 1999 Waffen für eine der in dieser Zeit modernsten Armeen der Welt entwickeln würde, kam den zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion eingeklemmten Polen wie ein Geschenk des Himmels vor. In den Gesprächen mit Geheimagenten, Universitätsprofessoren und Graf Tadicz wurde auch Brent schnell klar, was sein Wissen und seine Dokumente in dieser Zeit bedeuteten. Nachdem den Eingeweihten bekannt war, was man in Nazi-Deutschland plante und welche Katastrophe über Polen hereinbrechen würde, entstand sehr schnell die Idee, Hitlers Vernichtungskrieg zu stoppen, bevor er richtig beginnen konnte. Die beteiligten Polen waren von dem Gedanken, die deutsche Wehrmacht mit überlegenen Waffen stoppen zu können so begeistert, dass sie sich um etwaige Konsequenzen oder um die Machbarkeit ihrer Utopie keinerlei Gedanken machten.

Ganz anders Brent Spiner, der intensiv darüber nachdachte, wie er hierher gekommen war und wie er wieder zurück in seine Zeit und seine Heimat kommen könnte. Die Umstände seines Hierseins waren ihm immer noch völlig unklar. Er war sich sicher, dass das Ding, was ihn am Möbelwagen getroffen hatte dafür verantwortlich war. Was aber war das gewesen? Als Ingenieur war Brent es gewohnt, Dinge sachlich zu betrachten. Er glaubte weder an Wunder, noch war er religiös. Und so war ihm klar, dass es auch für dieses Ding eine Erklärung geben musste. Das war die eine Geschichte. Die andere Frage war, was eigentlich geschehen würde, wenn er hier in die Geschichte eingriff? Die Zukunft würde sich verändern. Und dann? Seine Zukunft hatte ja bis 1999 schon stattgefunden. Was geschah, wenn der 2. Weltkrieg nicht stattfinden würde? Würde es eine zweite Zukunft neben seiner bereits erlebten geben? Brent empfand diese Überlegungen an sich als überflüssig, denn der Eingriff hatte bereits begonnen und Veränderungen im geschichtlichen Ablauf fanden bereits statt. Zudem hatte Brent hier die Möglichkeit, die gigantischste Katastrophe, die Menschen je gemacht hatten, zu verhindern. Wenn es ihm gelang, aus der polnischen Armee innerhalb der nächsten vier Jahre eine gut ausgestattete und schlagkräftige Truppe zu machen, die Hitlers Wehrmacht bereits in der Anfangsphase des Krieges empfindlich treffen konnte, bliebe der Menschheit unglaublich viel Leid und Elend erspart. Würde er dann nicht 6 Millionen Juden vor der Vernichtung in Hitlers Konzentrationslagern retten? Millionen Soldaten und Zivilisten Krieg, Bombardierung, Flucht und Vertreibung ersparen? Hiroshima und Nagasaki vor der Bombe bewahren?

Würde das nicht eine bessere Welt ergeben?

Ja und Nein, musste Brent sich eingestehen, denn die polnischen Nationalisten, die ihrerseits den Plan Zachód (Plan West) verfolgten und zum Marsch auf Berlin bliesen, waren nicht gerade die Macher einer besseren Welt. Auch Stalins Kommunisten oder Mao, Tschiang Kai Shek oder, oder, oder versprachen nicht unbedingt eine friedliche Zukunft. Und wie würden sich die geschlagenen Deutschen verhalten? Wenn es überhaupt gelang, sie zu schlagen. Denn die Wehrmacht würde im September 1939 die beste und schlagkräftigste Armee der Welt sein. Die polnische Armee dagegen befand sich zurzeit technisch, ideologisch und organisatorisch auf dem Stand von 1925. Polnische Generäle setzten noch auf Kavallerie mit Lanzen und Säbeln. Die Luftwaffe verfügte nur über Flugzeugtypen, die ihren deutschen Gegenstücken hoffnungslos unterlegen waren. Gleiches galt für die Panzerwaffe und Marine.
Das Land war von deutschen Agenten unterwandert und die Regierung spaltete sich in zwei konkurrierende Machtblöcke. Nicht gerade rosige Aussichten.

Auf der anderen Seite wusste man genau, über die deutschen Absichten Bescheid. Man kannte alle strategischen und taktischen Überlegungen des Gegners, kannte seine Waffen, konnte seinen Funk entschlüsseln und wusste schon jetzt, wie der Feldzug 1939 verlaufen sollte und was die deutschen Generäle erst noch planen würden.

Zur gleichen „Zeit“ auf Camp Tschao

„Hi Gorli, ich habe jetzt den Empfänger, den du geschickt hast an meinen Computer angeschlossen, die Software läuft auch und du behauptest allen Ernstes, dass wir uns jetzt über die nicht unbedingt lächerliche Entfernung von 3000 Lichtjahren ohne Zeitverlust unterhalten können, richtig? Dann sollte ich deine zuckersüße Visage wohl jetzt auf meinem Hauptbildschirm sehen können? Tue ich aber nicht!“

Dafür sah Gorl die Sprecherin umso deutlicher. Die Stimme und das Gesicht auf seinem Monitor gehörten zu Samoka Lee, die auf dem Planeten Mars im Sonnensystem am Institut für Galaktische Technologie in der Hauptstadt First Village saß und halb neugierig, halb enttäuscht in die Kamera sah. Gorl genoss den Anblick aus vielerlei Gründen. Erstens, war Samoka’s das erste menschliche Gesicht, außer seinem eigenen, das er sah, seit er sich zum Forschen nach Camp Tschao zurückgezogen hatte. Zweitens hatte Samoka Lee ein Gesicht, das man einfach ansehen musste. Ihre fein geschnittenen Züge erinnerten an die ihrer Urgroßmutter, die als erster Mensch vor 167 Jahren den Mars betreten hatte. Aus dem Gesicht schauten die schwarzen Augen ihres Urgroßvaters Dr. Pascal Lee, von dem sie auch das volle, schwarze Haar geerbt hatte. Drittens bereitete es Gorl diebisches Vergnügen, sich erst in dem Augenblick aufzuschalten, als seine Gesprächspartnerin auf dem Mars aufstand und sind enttäuscht abwandte. „Na, wer wird denn einfach weggehen, wenn eine verlassene Stimme aus der Einsamkeit des Universums ruft?“ Samoka tat ihm jedoch nicht den Gefallen, erschrocken zusammen zu zucken und sprachlos vor Überraschung herumzufahren. Sie blieb stehen, drehte mit der Anmut eines Models ihre Hüfte ein wenig und sagte, ohne sich umzudrehen „Gorli, du verdammtes Arschloch in deiner elenden Blechkiste, du wusstest von Anfang an, dass es funktionieren würde! Und du hast dir einen Spaß daraus gemacht mich dabei zu beobachten, wie ich gefrustet in die blöde Kamera starre.“ Ihre Stimme klang dabei weich wie Watte, mit dem zischenden Unterton einer zustoßenden Kobra. Gorl sah sie unschuldig an und zog die Schultern nach oben. „Gorlilein hat doch so lange Zeit so einsam vor sich hingeforscht, dass ihm ein bisschen Freude doch gegönnt sei, oder?“ Endlich drehte sich Samoka ganz zu ihm um. Da sie einige Schritte von der Kamera entfernt stand, sah Gorl sie bis zur Gürtellinie hinab. Vollkommen automatisch heftete sich sein Blick auf ihre Brüste, die von ihrem sehr femininen Outfit perfekt herausgestellt wurden. Samoka bemerkte seinen Blick und folgte ihm. Dann sah sich wieder in die Kamera, setzte einen Schmollmund auf und verkündete betont maulig „Also, wenn selbst der Geiferblick eines sexuell Not leidenden Genies ohne Zeitverlust übertragen wird, hast du tatsächlich die Erfindung der letzen 100 Jahre gemacht. Kommt jedenfalls bewundernswert klar bei mir an. Glückwunsch! - Darf ich jetzt meine Titten aus dem Bild nehmen?“ Jetzt war es Gorl, der plötzlich nicht mehr wusste, wohin der seinen Blick lenken sollte und der betreten ein „Ja, klar, ääh natürlich“ stotterte. Samoka Lee trat wieder an die Kamera heran und lachte lauthals. „Gorli, diese kleinen Spiele wirst du immer verlieren. Schon allein deshalb, weil du ein in seinem Sozialverhalten eingeschränkter Mann bist. Aber dein Hyperfunk hier ist wirklich mehr als genial. Ich schwinge mich noch heute mit ein paar Leuten in die
Henri Poincaré und bin in 6 Stunden auf Camp Tschao.“

Samoka Lee machte sich sofort nach dem Gespräch auf, um einige Vertraute zu informieren. Die Elite im Sonnensystem bestand fast vollständig aus Nachfahren der so genannten Big Old. Zu den Großen Alten zählte die Crew der Mars Discovery, dem Schiff, welches 2002 die ersten Menschen zum Mars gebracht hatte. Aus irgendwelchen Gründen herrschte noch unter den Kindern und Kindeskindern dieser Crew eine enge Verbundenheit. Die heutige Generation besetzte innerhalb des Galaktischen Bundes noch immer die Schlüsselpositionen, vor allem in den Bereichen Wissenschaft und Raumfahrt. Diese Menschen waren ja buchstäblich geborene Raumfahrer und auch in der 3. Generation merkte man ihnen die Kühnheit und den Tatendrang ihrer Urgroßeltern noch an. Samoka wandte sich an die Kosmohistoriker Gedro-Won Mang und Sita Myhrre, die beide auf dem Mars lebten und teilte mit, was sich ereignet hatte. Gedro und Sita sagten sofort zu und machten sich auf den Weg zum Raumhafen von First Village. Auch die Kosmologin Janita Landgraf und der Astrophysiker Jeff Tschao-Zel fanden sich am Raumhafen ein. Kaum standen sie dort zu fünft zusammen, als auch schon eine ganze Batterie Nanokameras herangeschwebt kam. Wenn sich gleich fünf Topleute trafen, musste etwas Besonderes los sein. Kaum, dass sie sich begrüßt hatten, generierte eine der schwebenden Kameras das dreidimensionale Abbild eines bekannten Reporters von News Galaxy, einem der größten Nachrichtensender innerhalb des Galaktischen Bundes. Das Hologramm begann sofort in Richtung der anderen Kameras zu reden „Hier spricht Harold P. Green von News Galaxy. Wir befinden uns im Raumhafen von First Village, liebe Zuschauer. Und wen treffen wir hier? Die Wissenschaftselite des Solaren Systems! Was uns und mit Sicherheit noch viel mehr sie interessieren wird ist, was es wohl zu bedeuten hat, wenn sich 5 leitende Wissenschaftler ohne offizielle Verlautbarung an diesem Ort zusammenfinden. Mrs. Lee, gibt es etwas, über das Zuschauer Bescheid wissen sollten? Was ist der Grund ihrer Zusammenkunft hier im Raumhafen?“ Samoka sah das Hologramm an, setzte ihr unvergleichliches Lächeln auf und sagte „Hallo Harold, hoffe sie sitzen schön warm in ihrem Studio. Weshalb wir hier sind? Nun, das ist einfach: Wir haben gerade ein Projekt gestartet, mit dem ermittelt werden soll, wie man aufdringliche Reporterhologramme aus Raumhäfen heraushält.“ Mit diesen Worten wandte sie sich ab und die Gruppe ging auf das Gate zu hinter dem die Henri Poincaré lag. Die Kameras und das labernde Hologramm folgten ihnen bis zum Gate, welches von den Kameras nicht durchquert werden durfte. Dahinter lag das Raumschiff des Instituts. Bei der Henri Poincaré handelte es sich um relativ altes, auf dem Planeten Queenox im Raman-System gebautes Schiff. Da die Konstruktion auf die alten Kampfraumer der Schadlo – Diktatur zurückging, war das Schiff sehr groß, konnte aber von einer kleinen Crew geflogen werden. Zudem bot das Schiff reichlich Platz für wissenschaftliche Ausrüstung. Für die, nach heutigen Maßstäben sehr kurze Reise zu Hinds veränderlichem Nebel war das Schiff eigentlich eine Nummer zu groß, aber das Institut besaß nur dieses. Samoka und ihre Begleiter nahmen die Plätze in der Zentrale ein und starteten knapp 15 Minuten später. Selbstverständlich verfolgten die Kameras von News Galaxy den Start und Harold P. Green fragte sich in seinem Sender, wo die wohl hin wollten? Wenn der halbe Galaktische Wissenschaftsrat hier zusammenkam, musste sich dahinter etwas Großes verbergen.

Warschau

Brent saß tief in Gedanken versunken da, als er plötzlich etwas Seltsames spürte. Ihm war, als würde etwas aus ihm herausgesaugt. Das Gefühl war nicht stark, aber er vernahm es am ganzen Körper. In seinem Kopf verschwammen die Gedanken und für einen winzigen Augenblick befand er sich woanders. Eine Art Labor oder so etwas. Und vor ihm stand ein Mann, der furchtbar erschrak. Brent fragte noch „Haben sie mich hier hergebracht?“, dann war es auch schon wieder vorbei. Brent schüttelte den Kopf. „Was ist? Geht es ihnen nicht gut?“ Andreij Tadicz stand vor Brent und hielt ihm ein Glas mit Wasser hin. Brent nahm das Glas und sagte „Nein, alles okay. War nur so ein Gedanke.“ Tadicz sah ihn weiter an und bemerkte „Ist sicher nicht leicht für sie. Aber für uns ist es das auch nicht, bei den Zukunftsaussichten.“ Brent lächelte. So hatte er das noch gar nicht gesehen. Klar, für die Menschen aus dem Jahr 1935 musste er noch unbegreiflicher erscheinen, als diese für ihn. Aber die hier waren wenigstens daheim.

Wir verwenden Cookies um unsere Website zu optimieren und Ihnen das bestmögliche Online-Erlebnis zu bieten. Mit dem Klick auf "Alle akzeptieren" erklären Sie sich damit einverstanden. Erweiterte Einstellungen